Donnerstag, 21. September 2017

Und nochmal: Analytisch oder kontinental?

Mineralienatlas Lydischer Stein, "Prüfstein"
 
Unter der Überschrift Was ohne Deutung bleibt, ist leer  veröffentlichte die FAZ [am 16. 1. 16] einen kurzen Beitrag des kanadischen Philosophen Charles Taylor zu der von ihr begonnenen Kontroverse zwischen 'analytischer' und 'kontinentaler' Philosophie. Diese Gegenüberstel- lung sei nur die Oberfläche, meint Taylor. Wichtiger sei viel mehr der "Unterschied, der sich aus den verschiedenen Antworten auf die Frage ergibt, ob die Philosophie eine autarke Fachdisziplin ist; ob Philosophen also ihre Fragen ohne Rückgriff auf die Erkenntnisse anderer Fachge- biete beantworten können oder nicht."

Er knüpft dabei an den Kernsatz aus dem Beitrag von Tobias Rosefeldt an: Zweck der Philosophie sei es, eine eigene Sprache zu entwickeln, "deren Bedeutung so klar ist, dass sie nicht erst der Interpretation bedarf." Sind die Begriffe scharf genug definiert, bleiben keine Probleme übrig. Das meint Taylor mit der "verhängnisvollen Vor- liebe vieler analytischer Philosophen für das selbstgenügsame Philosophiemodell". Wenn schon innerhalb des Fachs kein Raum für Interpretation bleiben soll, dann ist ein Aus-, Zurück- und Übergreifen auf andere Fächer – Geschichte, Ethik, Soziologie – schon gar nicht mehr statthaft. 


Dies wiederum beruhe auf "einem positivistischen Weltbild, das die Hermeneutik unter Generalverdacht stellt". Was immerhin eine originelle Wende wäre, denn bislang hatte man den Positivismus so verstanden, als würde er die ganze Philosophie als bloße Hermeneutik abtun und ins Reich der Fabeln verweisen. Dies hätten die 'Analy- tiker' mithin überwunden, indem sie die Philosophie selber zu einer autarken positiven Wissenschaft 'von den Be- griffen' purifiziert und gerettet hätten.

An dem Punkt bricht Charles Taylor ab. Für ihn ist damit das Terrain abgesteckt, und auf welcher Seite er steht, ist ja außer Frage, weshalb ihn die Redaktion der FAZ auch ohne Zögern einen Sozialphilosophen nennt.

Der Beitrag schafft mehr Verwirrung, als dass er zur Klärung beitrüge. Ob die Philosophie 'ein Fach' ist – oder vielleicht das öffentliche Forum aller andern Fächer –, ist eine Frage; wie weit  dieses Fach reicht, bedürfte gegebe- nenfalls einer eigenen Erörterung. Darf es übergreifen? Darf es Anleihen machen? Worauf darf es sich berufen?

Letzeres kommt dem Kern der Sache näher. Wenn sie ein Fach ist – ein wissenschaftliches, denke ich wohl –, dann muss sie auf eigenen Prämissen beruhen. Dann aber muss ihre Kritik; – immanent – von diesen Prämissen ausgehen. Von anderen, äußeren Prämissen aus ließe sich bestreiten, dass sie ein Fach und dass sie eine Wissen- schaft ist. Das eine ist Kritik, das andere Metakritik, das sind zwei Paar Schuhe.

Soviel gegen Taylor. Es geht aber auch gegen die Analytischen. Denn Prämissen, die das Philosophieren zu einem Fach konstituieren könnten, kennen sie nicht und wollen sie nicht kennen. An denen müssten sich die scharf de- finierten Begriffsmoleküle ja überprüfen lassen – und das hieße interpretieren. Ein Fach kann ihr Philosophieren da- her nicht sein, und eine Wissenschaft schon gar nicht. Jeder Begriff für sich und aus eignem Rechtsgrund (ver- mutlich der "Anschlussfähigkeit" im jeweiligen Kontext): Das ergäbe gerade kein 'Fach', sondern nur eine prag- matische Hilfsdisziplin der realen Wissenschaften. Womit wir dann doch wieder beim "positivistischen Weltbild" wären.

Das positivistische Weltbild beruht – nach Kant muss man es genau so formulieren – auf dem Verbot jedweder Wissenskritik. Die Dinge sind, was sie sind, wo ist da das Problem?


Die Transzendentalphilosophie hat ein für allemal geantwortet: Von der Wirklichkeit weißt du gar nichts, son- dern nur von dem, was in deinem Bewusstsein vorkommt, und das sind Vorstellungen. Die mögen ja richtig sein, das wollen wir gerne unterstellen. Aber wie das möglich ist – das würden wir doch schon herausfinden wollen. Die- ses Herausfinden heißt Philosophieren.

Hieße die Frage: Ist diese oder jene Vorstellung berechtigt? – so müsste auf reales Wissen von außerhalb der Phi- losophie zurückgegriffen werden. Aber wo es um das Vorstellen selber geht, kann nicht auf reales Wissen von außerhalb zurückgegriffen werden; denn dessen Begründetheit steht ja hier in Frage, und das gilt auch von der empirischen Psychologie: Deren Wissen kann höchstens so begründet sein, wie Wissen überhaupt, also kann sie es nicht selber begründen.*

Das ist ein eng gefasster Begriff von Philosophie, er ist rein kritisch; aber er ist hart und haltbar. Unmittelbar taugt er zu nichts, da haben die Nörgler Recht. Doch mittelbar taugt er zu allem und ohne ihn taugt nichts: Er ist der Prüfstein, an dem sich Alles bewähren muss. Aber um das Vorstellen selber  geht es. Die brauchbaren Begriffe sind bloß Derivate, die seien euch geschenkt.
 
*) Sollte die Hirnphysiologie eines Tages bildgebend sichtbar machen, wie aus einem Sinnes- eindruck eine Vorstellung entsteht, so könnte das nur beweisen, dass sich diese Praxis gattungsgeschichtlich als nützlich bewährt hat; aber wir wollten mehr wissen.

17. 1. 2016


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