Freiheit aber ist eine bloße Idee, deren objektive Realität auf keine Weise nach Naturgesetzen, mithin auch nicht in irgend einer möglichen Erfahrung, dargetan werden kann, die also darum, weil ihr selbst niemals nach irgend einer Analogie ein Beispiel untergelegt werden mag, niemals begriffen, oder auch nur eingesehen werden kann. Sie gilt nur als notwendige Voraussetzung der Vernunft in einem Wesen, das sich eines Willens, d.i. eines vom bloßen Begehrungsvermögen noch verschiedenen Vermögens (nämlich sich zum Handeln als Intelligenz, mithin nach Gesetzen der Vernunft, unabhängig von Naturinstinkten, zu bestimmen), bewußt zu sein glaubt.
Wo aber Bestimmung nach Naturgesetzen aufhört, da hört auch alle Erklärung auf, und es bleibt nichts übrig, als Verteidigung, d.i. Abtreibung der Einwürfe derer, die tiefer in das Wesen der Dinge geschaut zu haben vorgeben, und darum die Freiheit dreust vor unmöglich erklären. Man kann ihnen nur zeigen, daß der vermeintlich[96] von ihnen darin entdeckte Widerspruch nirgend anders liege, als darin, daß, da sie, um das Naturgesetz in Ansehung menschlicher Handlungen geltend zu machen, den Menschen notwendig als Erscheinung betrachten mußten,
und nun, da man von ihnen fodert, daß sie ihn als Intelligenz auch als Ding an sich selbst denken sollten, sie ihn immer auch da noch als Erscheinung betrachten, wo denn freilich die Absonderung seiner Kausalität (d.i. seines Willens) von allen Naturgesetzen der Sinnenwelt in einem und demselben Subjekte im Widerspruche stehen würde,
welcher aber wegfällt, wenn sie sich besinnen, und, wie billig, eingestehen wollten, daß hinter den Erscheinungen doch die Sachen an sich selbst (obzwar verborgen) zum Grunde liegen müssen, von deren Wirkungsgesetzen man nicht verlangen kann, daß sie mit denen einerlei sein sollten, unter denen ihre Erscheinungen stehen.
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I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, A/B 121
Nota. - Intelligenz ein "Ding an sich"? Aber ein Ding an sich ist Noumenon; wie die Freiheit selber ein reines Gedankending, das lediglich anzunehmen ist, um in den Phänomenen einen Sinn erkennen zu können.
Lediglich? "... daß hinter den Erscheinungen doch die Sachen an sich selbst (obzwar verborgen) zum Grunde liegen müssen, von deren Wirkungsgesetzen man nicht verlangen kann, daß sie mit denen einerlei sein sollten, unter denen ihre Erscheinungen stehen"! Da hält er sich doch wieder eine Hintertür auf: Was von vorn (im Auge des Menschen) als Freiheit erscheint - nämlich im Handeln - , ist von hinten (im Auge einer höheren Intelligenz?) vielleicht doch in einem verborgenen Wirkungsgesetzt begründet...
Und das ist eine von den vielen Stellen, wo wir uns darin erinnern, dass er "das Wissen aufheben" wollte, "um zum Glauben Platz zu schaffen". Mit andern Worten: Das, was an seinem Ding-an-sich mehr wäre als bloßes Noumenon, gehörte in die Theologie; in der Philosophie hat es nichts zu suchen, und deswegen bleibt er an der Stelle auch stets im Konjunktiv.
JE
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
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