Freitag, 10. August 2018

Wirklichkeit ist ein kollektives Pantasma.

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'Wirklich' ist allein (!) das Erleben. - Ja, aber nun erlebt der eine dies, der andere jenes. Doch genau besehen, gibt es einen enormen Vorrat von 'Dingen', die wir alle gleich erleben, oder fast gleich, was in den meisten Lebensbereichen auf dasselbe hinauskommt. All das, was wir grosso modo gleich erleben, nennen wir gewohn- heitsmäßig "die Welt". Wohl wissend, aber ungern oder gar nicht bedenkend, dass es in meinem Erleben einen kleinen privaten Sonderposten gibt, der - weil nur das Erleben wirklich ist, und alles Erleben! - doch auch wirk- lich ist, also auch zur Welt gehört, aber nicht wirklich, nicht "für die andern"; dass also insgeheim meine Welt im- mer ein bisschen wirklicher ist als die der andern, wenn  jene auch den Schein der Übermacht für sich hat. -

Zweck der Schule ist es, mir den richtigen Eindruck von der Priorität 'meiner' Welt vor der Welt 'der andern' auszutreiben - und den andern ebenso: "Wirklich" soll nur das überprüfbar gemeinsame Erleben sein; und wirk- lich wirklich auch nur das restlos gleiche, das von der Wissenschaft als ein solches festgestellte. Das ist aber, ge- messen an dem, was alle-zusammen-jeder-für-sich erlebt hat, nur ganz wenig. Das ist dann das wirklich-Wirk- liche mit dem psychisch  'Normalen' als seinem Hof (so wie der Mond einen Hof hat); und noch weiter weg vom Kern dann die individuellen Phantasmata. -

Dies alles ist nun aber überhaupt nur nötig, weil wir zusammen arbeiten müssen. Denn dann reicht es nicht, dass wir uns von unserm jeweiligen Erleben nur erzählen; wir müssen uns darüber einigen können.

aus e. Notizbuch, 30. 12. 03


Das war also die Stelle, wo mir erstmals eingefallen ist, 'meine' Welt von 'unserer' Welt systematisch zu unter- scheiden. Dass die Eigenwelt des Irren sich zur realen Welt der Normalen verhält wie ein privates Phantasma zu einem kollektiven, und dass der Vorzug des letzteren ein lediglich pragmatischer ist, war mir durch meine Erwerbstätigkeit klargeworden. Aber auch, dass der Irre nur eine Extremvariante der Normalen ist. Dass also wir ebenfalls in einem Zwiespalt zwischen meiner Welt und unserer leben und uns vom Narren graduell nur dadurch unterscheiden, dass wir uns zwischen beiden in einem Gleichgewicht halten. 

15. 1. 15


Dass unsere Welt "auch nur" ein Phantasma ist, so wie die Privatwelt des Verrückten, darauf kommt es gar nicht an. Sondern darauf, dass ich mich in der einen mit Andern verständigen kann, in der andern nicht. Doch worüber muss ich mich mit andern verständigen? Über Zwecke, die ich mit ihnen gemeinsam oder gegen sie verfolge, nämlich dort, wo wir einander begegnen. Über Zwecke, die ich allein für mich verfolge ohne Berüh- rung mit Andern, brauche ich mich nicht einmal mit mir zu verständigen, wenn ich nicht will.

Das ist der Unterschied, auf den es wirklich ankommt: Welche Zwecke liegen in 'unserer', und welche Zwecke liegen in 'meiner' Welt? In der Abstraktion lässt sich der Unterschied meist mühelos fassen. Doch in concreto wird fast immer ein Problem daraus. Denn es ist ein pragmatisches Problem: eines, das sich nicht vorab theore- tisch und in Begriffen stellen und also auch nicht lösen lässt, sondern praktisch, im Handeln selbst. Da werde ich mit den Andern immer wieder in Streit geraten, und manchmal werde ich finden, dass nicht sie im Irrtum waren, sondern ich. Dass wir uns verständigen müssen, heißt ja nicht, dass es uns leicht wird. So ist das Leben.

13. 8. 18

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