Samstag, 4. August 2018

Moral um der Moral willen.

goldfedervogel

»Die Moral um der Moral willen« – eine wichtige Stufe in ihrer Entnaturalisierung: sie erscheint selbst als letzter Wert. In dieser Phase hat sie die Religion mit sich durchdrungen: im Judentum z. B. Und ebenso gibt es eine Phase, wo sie die Religion wieder von sich abtrennt und wo ihr kein Gott »moralisch« genug ist: dann zieht sie das unpersönliche Ideal vor... Das ist jetzt der Fall. 

»Die Kunst um der Kunst willen«. – das ist ein gleichgefährliches Prinzip: damit bringt man einen falschen Gegen- satz in die Dinge, – es läuft auf eine Realitäts-Verleumdung (»Idealisierung« ins Häßliche) hinaus. Wenn man ein Ideal ablöst vom Wirklichen, so stößt man das Wirkliche hinab, man verarmt es, man verleumdet es. »Das Schöne um des Schönen willen», »das Wahren um des Wahren willen«, »das Gute um des Guten willen« – das sind drei For- men des bösen Blicks für das Wirkliche. – 


Kunst, Erkenntnis, Moral sind Mittel: statt die Absicht auf Steigerung des Lebens in ihnen zu erkennen, hat man sie zu einem Gegensatz des Lebens in Bezug gebracht, zu »Gott«, – gleichsam als Offenbarungen einer höheren Welt, die durch diese hie und da hindurchblickt... 

»Schon und häßlich«, »wahr und falsch«, »gut und böse« – diese Scheidungen und Antagonismen verraten Daseins – und Steigerungsbedingungen, nicht vom Menschen überhaupt, sondern von irgendwelchen festen und dauerhaften Komplexen, welche ihre Widersacher von sich abtrennen. Der Krieg, der damit geschaffen wird, ist das Wesent- liche daran: als Mittel der Absonderung, die die Isolation verstärkt... 
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Nietzsche, Aus dem Nachlass der Achtziger Jahre, N° 14 



Nota. - Amoralität um des Übermenschen willen - ist das besser als Moral um der Moral willen? 

Fragt man die Gebildeten nach dem Philosophen des Ich, so werden nur die einen Fichte nennen - die andern aber Nietzsche. Der eine der Hypermoralist, der andere der erste erklärte Immoralist. Doch ist der Gegensaatz so groß nicht, wie er scheint. Wenn der Pastorensohn Nietzsche von Moral spricht, so meint er die gesetzte, ge- satzte Moral der Katecheten, Krämer und Apotheker. Fichte dagegen spricht von Moralität als Haltung

Wenn Nietzsche vom Ich spricht, so meint er ebensowenig wie Fichte das zufällige konkrete Idividuum, son- dern - das Leben in ihm, das er zu steigern habe. Aus dem Götzenkult und dem Glauben an die Obrigkeit will er ihn befreien, indem er ihn einer Chimäre unterwirft, einem Collectivum über ihm. Fichte befreit das Ich, indem er es an sich selbst verweist: an die Stimme seines Gewissens in ihm. Und nicht etwa die Stimme des Gewissens, so als raunte sie quer durch alle Iche zugleich; sondern die seines Gewissens als einem, vor dem allein er sich und das er allein vor sich zu verantworten hat. Das ist kein Ideal, von dem man sich ein Bild machen und vor dem man tanzen kann, sondern einer, der sich nur meldet, wenn man nach ihm lauscht. 

Die Endstufe der Entnaturalisierung? Allerdings. Die Natur und das Leben sind fixe Ideen, die Nietzsche nicht entbehren konnte, weil er sich wohl aus dem Muckertum des D. Luther erheben wollte; an das es doch aber fixiert blieb wie das Kaninchen auf die Schlange. Dass er Atheist sei, hat er laut geprahlt, doch man mag's ihm nicht recht glauben. Dass er kein Atheitst wäre, hat Fichte laut geschimpft, aber keiner wollt es glauben. 
JE

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