'Wissenschaft' unterscheidet sich von andern Weisen des Meinens darin, daß sie ein auf seine Gründe hin über- prüftes Wissen ist... Die Überprüfbarkeit ("Falsifizierbarkeit", nach Popper) ist ihr kardinaler pragmatischer Un- terschied zu anderem Meinen: Sie ist Bedingung der Mitteilbarkeit. Nur wenn mein Wissen auf 'Gründen' be- ruht, kann ich es einem andern vermitteln: ihm die Gültigkeit meines Wissens "andemonstrieren"! Ich muß in der Begrü ndungskette meines Wissens einen 'Punkt' ausmachen, der dem andern bereits 'als gewiß bekannt' ist (Wittgenstein). Daran kann ich anknüpfen und aus ihm Schritt vor Schritt mein Wissen "her leiten". Daher sind die Sätze 'Wissenschaft ist begründetes Wissen' und 'Wissenschaft ist diskursives Denken' [nicht umkehrbar] gleichbedeutend. D.h. wirkliche Wissenschaft ist schlechterdings nie "voraussetzungslos", sondern argumentiert immer ex concessis; denn "irgendwo muß man ja anfangen". [nach Kant: wirkliches Wissen ist immer dogma- tisch; aber noch lange nicht dogmatistisch]
Das heißt aber auch, daß 'wissenschaftliches Denken' die Gegebenheit von Wissenschaft als einer kulturellen Dimension (gesellschaftliches Institut) allbereits voraussetzt; d.h. die Vorhandenheit einer wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Denn wenn mein Anderer, dem ich das Wissen, das ich selber 'eingesehen' habe, andemonstrie- ren will, mir bereits solche 'Gründe' konzediert, die lediglich plausibel sind, dann enthebt er sich und ipso facto mich der Prüfung der einander zugegebenen Gründe; so ist das vielleicht immer noch 'wahres' Wissen; aber nicht Wissenschaft: Wissenschaftlichkeit ist eine Weise der Darstellung - Darstellung "für" einen Andern (und wenn der 'Andre' auch ich selbst: mein kritisches Alter ego wäre...)
aus e. Sudelbuch; 7. 6. 92
Notabene: In nichts unterscheidet sich der gesunde Menschenverstand von der Wissenschaft als darin, dass er es nicht an jeder Stelle und in jedem Moment mit dem Überprüfen der Gründe so genau nimmt. Was nicht zur Sa- che gehört, kann übergangen werden, doch so hält es die Wissenschaft selber. Der Unterschied ist letzten Endes doch nur, dass der Wissenschaftler - zumindest, soweit er weiß - nur das Wissen selbst zum Zweck hat, während sich der gesunde Menschenverstand mit unsern Alltagsgeschäften abplagt; da muss er und kann aber auch mal mit dem Ungefähr vorlieb nehmen.
In beiden Reichen herrscht der Verstand. Verstand beurteilt die Zweckmäßigkeit der Mittel. Wenn ein ungefähres Ergebnis ausreicht, dann reicht auch ein ungefähres Verfahren, und so ist es im wirklichen Leben. Vernunft dage- gen fragt, bevor sie die Mäßigkeiten prüft, nach den Zwecken selbst. Die Zwecke selbst jedoch erschöpfen sich nicht in den unmittelbaren Nützlichkeiten. Und dies, wie wir alle wissen, im gewöhnlichen Leben noch seltener als in der vornehmen Wissenschaft.
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