Samstag, 21. Juli 2018

Das Paradox der Geltung.


Tatsächlich liegt das Mysterium der Vernunft in der Urteilskraft. Im Urteil richte ich über die Gültigkeit der Gründe (Werte...); aber Grund des Urteils ist eben... die Gültigkeit. "Geltung" ist ein Paradox: 'Ich' stellt sich über die Geltung, macht sich zu ihrem Maßstab, indem es Geltungen vergleicht. Andererseits muss es die Geltungen als unabhängig von ihm denken: "Entweder gibt es gar keinen Wert, oder es gibt einen notwendigen Wert."*

Das Ich 'macht' sich seine Gründe selber, aber so, als ob sie absolut wären. Mit andern Worten, die "absolute" Geltung ist immer nur eine Behauptung

*) Fr. Schlegel, in Materialen zu Kants Kritik der Urteilskraft, Ffm. 1977, S. 198


aus e. Notizbuch, 11. 7. 03



Ist das bloß paradox oder ist es absurd? Der allerletzte Rechtsgrund jeglicher Geltung ist ja gar kein Urteil, in dem Gründe erwogen und eine Wahl getroffen wird, sondern lediglich ein Gefühl - wenn auch das Gefühl der Gewissheit. Oder, mit andern Worten, das Gefühl eines Denkzwangs, das Gefühl, "gar nicht anders zu können". Doch so unwiderruflich es sich auch ankündigt - subjektiv bliebe es auch dann noch, wenn alle wirklichen Sub- jekte es faktisch teilen würden (wovon man bloß nicht wissen kann).

Das ist allerdings absurd, nämlich vom Standpunkt der in sich gegründeten Vernunft aus betrachtet: Es dreht sich im Kreis, doch was im Kreis "begriffen" liegen soll, liegt ganz im Dunkeln.

Der Standpunkt der in sich gegründeten Vernunft ist das, was Fichte als das gemeine Bewusstsein bezeichnet und dessen Grund und Herkunft die Wissenschaftlehre darlegen soll. Grund und Herkunft der Vernunft setzt sie weder dogmatisch voraus, noch postuliert sie sie prophetisch, sondern sucht sie in den wirklichen Handlungen der Vernunft auf. Was sie gefunden hat, erwies sich als ein Akt der Freiheit, der als ein solcher 'im Dunkeln liegt' und nicht begriffen, sondern - sofern man es will - nur angeschaut werden kann. Und was sieht man? "Ja;  anders wäre es nicht möglich."

Wenn ich zuunterst den (bedingten) Denkzwang voraussetze, werde ich auch nach oben hinaus immer wieder auf den Denkzwang stoßen.

Warum? Die Wissenschaftslehre ist streng immanent und geht über ihre Prämissen nirgends hinaus.




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