Freitag, 22. Juni 2018

Kann Erkenntnis ästhetisch sein?

Er glaubte an das Schöne in der Wahrheit: Albert Einstein
aus Tagesspiegel.de,

Ästhetik der Erkenntnis 
Das Einstein-Forum in Potsdam wird 25 Jahre und feiert sich mit einer Diskussion: Ist nur wahr, was schön ist?  

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Als Albert Einstein seine spezielle Relativitätstheorie formulierte, kumulierend in der bekannten Äquiva- lenzformel von Energie und Masse E = mc2, soll er sich sicher gewesen sein, dass er richtig lag: Was so schön ist, müsse auch wahr sein. Aber ist immer wahr, was schön ist, und ist Hässliches automatisch falsch? Oder ist Schönheit nur ein Behelf des beschränkten menschlichen Geistes, um die Komplexität der Realität so weit zu reduzieren, dass sie wenigstens ein Stück weit erklärbar wird?

Drei Tage hatte sich das Einstein-Forum anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Stiftung Zeit genommen und ein gutes Dutzend Redner geladen, um am Neuen Markt in Potsdam diese Fragen zu diskutieren. Drei Tage mögen für dieses Thema auf den ersten Blick ausschweifend, ja ermüdend erscheinen - und in der Tat war schon am zweiten Tag ein erklecklicher Kaffeekonsum seitens der etwa 50 Zuhörer zu beobachten. Doch so abstrakt die Frage nach dem Zusammenhang von Schönheit und Wahrheit - oder anders gesagt von ästhetischer, gesetzmäßiger Vereinfachung und wissenschaftlicher Korrektheit - auch erscheinen mag, sie ist so aktuell wie essenziell. Denn sowohl in der Biologie mit ihren komplexen und vielfach vom Zufall getriebenen Lebensvorgängen als auch in der Physik und ihren Erklärungsnöten etwa zur Dunklen Materie zeichnet sich ab, dass es womöglich auch hässliche, nicht in hübsche Formeln zu packende Wahrheiten gibt.

Schon immer haben sich Forscher im Bemühen, die Komplexität der Welt zu erfassen, Modelle und Bilder von den Vorgängen in der Natur gemacht - angefangen beim Philosophen Plato, der die Idee, zumal eine „schöne“, gewissermaßen zum Fundament der Realität erhob. Welch praktischen Charakter eine „schöne“, also stimmige, minimalistische oder symmetrische Formel für Forscher bis heute hat, beschrieb der Nobelpreisträger und Schweizer Physiker Frank Wilczek 2004: „Erst konstruieren wir schöne Gleichungen, ergründen dann die Konsequenzen daraus und führen schließlich Experimente durch, um sie zu testen. Diese Strategie hat sich als außerordentlich erfolgreich herausgestellt.“

Es braucht auch „hässliche“, mühsame Datenanalyse

So seien etwa die Gravitationswellen oder Elementarteilchen wie die Higgs- oder Neutrino-Partikel alle zuerst theoretisch, mit Hilfe „schöner“ Formeln vorhergesagt und erst dann tatsächlich entdeckt worden, sagte Thomas Naumann, Physiker am Deutschen Elektronensynchroton in Zeuthen in seinem Vortrag. Man nutze die Prinzipien der Schönheit, so Wilczek, um Entdeckungen zu ermöglichen. Wie ein Werkzeug. Und: „Wenn die Naturgesetze nicht schön wären, hätte man sie nicht gefunden.“ Wilczek geht sogar so weit zu behaupten, dass „die Evolution den Menschen prädisponiert hat, jenes schön zu finden, was uns hilft, die Welt korrekt zu verstehen und es deshalb kein Zufall ist, dass wir die korrekten Naturgesetze schön finden.“

In diesem Sinne wäre es auch kein Zufall, dass das Molekül, das Evolution erst möglich gemacht hat (die Desoxyribonukleinsäure DNS) schon im Auge ihrer Entdecker James Watson und Francis Crick als besonders ästhetisch empfunden wurde. Als „Mona Lisa der modernen Wissenschaft“ bezeichnete sie der Oxforder Kunsthistoriker Martin Kemp einmal.

Damit allein sei aber noch nichts erklärt, warnte Jens Reich in seinem Vortrag. Wenn man die eigentliche Aufgabe der DNS, nämlich das Speichern der kodierten Informationen für den Zusammenbau von Proteinen betrachte, dann sei die Schönheit dahin. Denn was sei schon schön an einer endlosen Abfolge von Milliarden A und C und G und T, den vier „Buchstaben“ des genetischen Alphabets? Die Vorgänge in den Zellen seien damit eben nicht vollständig erklärbar, auch nicht mit ein paar hübschen Schaubildern vom Zitronensäure-Zyklus oder anderen Stoffwechselprozessen. Um die vielfältigen Wechselwirkungen zehntausender Proteine untereinander und mit der Umwelt nachzuvollziehen und vorherzusagen, reichten schöne Formeln nicht. Es brauche auch „hässliche“, mühsame Datenanalyse und Statistik.

Einstein glaubte an das Schöne in der physikalischen Wahrheit

Auch der Physiker Naumann warnte, dass die Suche nach Schönheit auch in die Irre statt zu wissenschaft- licher Erkenntnis führen könne. Anders als seine Vorgänger ließ sich Johannes Kepler eben nicht von der Schönheit der seinerzeit noch postulierten Kreisbahnen der Planeten blenden. Er hielt sich an die Daten aus unzähligen nächtlichen Beobachtungen und entdeckte die tatsächlichen, wenn auch vermeintlich weniger harmonischen elliptischen Bewegungen. An eine höhere (göttliche) Harmonie in den Naturgesetzen, der Harmonie der Sphären (Harmonices mundi) glaubte Kepler dennoch.

Heute geht es für die Physik beim Begriff der Schönheit um weit mehr als nur Semantik. Die Idee, dass der gesamte Kosmos einer zwar noch unbekannten, aber alles erklärenden Weltformel folgt, gilt der Disziplin als die ultimative Schönheit, bezeichnet als die „Natürlichkeit“. Doch die Tatsache, dass Dunkle Materie und andere rätselhafte Phänome sich der Erklärbarkeit im bislang geltenden Standardmodell der physika- lischen Gesetze entziehen, lässt Physiker zweifeln, ob diese Natürlichkeit wirklich existiert. Es wäre ausgesprochen hässlich, wenn die Existenz unseres Universums und der darin geltenden Gesetze womöglich nur ein Zufall, nur einer von unendlich vielen anderen Zuständen in anderen Universen (Multiversen) wäre.

Einstein jedenfalls glaubte, buchstäblich, an das Schöne in der physikalischen Wahrheit. Dem Rabbi Goldstein antwortete er 1929 auf die Frage, ob er an Gott glaube: „Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der geordneten Harmonie dessen zeigt, was existiert.“


Nota. -  Das sind in Wahrheit zwei Fragen, die unmittelbar gar nicht zusammenhängen. Das eine ist, ob eine Forscher nicht gut daran tut, wenn vor einem neuen, großen Problem zuweilen in den ästhetischen Zustand abtaucht und die Reflexion einstweilen abschaltet - und so vielleicht zu einer Erleuchtung kommt. Ein anderer trinkt einen Kaffee oder zieht sich eine Linie. Das ist eine heuristische Frage und ist rein prag- matisch zu beantworten. Den Kopf freimachen und die Einbildungskraft spielen lassen, wird immer nützen. Dass aktive Forscher darüber miteinander reden, ist vielleicht nützlich, aber ein irgendwie allgemeineres theoretisches Interesse kann es nicht beanspruchen. Immerhin lehrt die Erfahrung: Sobald die neugierige Anschauung des Forschers zur analytischen Reflexion und zu den empirischen Details übergeht, treten die Begriffe wieder in ihr Recht und ist die Schönheit regelmäßig wieder perdü - sagt nicht nur Jens Reich.

Das andere ist die erkenntnislogische und gar metaphysische Frage, ob wissenschaftliche Erkenntnis und ästhetisches Erleben letzten Endes womöglich "aus demselben Stoff gemacht" sind.

Da muss man schon etwas weiter ausholen.

Die empirische Psychologie kennt das Faktum der Gestaltwahrnehmung. Es ist ein Phänomen, das sowohl dem ästhetischen Erleben als auch der Kognition angehört: dass nämlich schon die rein sinnliche Wahrneh- mung - sehen und hören - nicht aus dem Zusammensetzen einzelner Reize besteht, die erst vom reflektie- renden Verstand zu sinnvollen Ensembles zusammengestzt werden, sondern dass umgekehrt schon das sinnliche Warhnehmen selbst "von sich aus" in der strukturlossen Masse der Sinnesreize nach bedeutungs- vollen Figuren sucht, die die einzelnen Reize zueinander 'in Beziehung setzt' und dadurch eigentlich erst identifizierbar macht.

Dass unser Gehirn so verfährt, ist offenbar eine stammesgeschichtliche Erwerbung. Es besagt nur, dass unsere Gattung damit bislang immer ganz gut gefahren ist. Über die Natur der Dinge oder über die Wahr- heit unseres Wissens lehrt es uns gar nichts.

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Bevor wir uns in den Fallstricken unserer vorgefertigten Begriffe verheddern, dies: Von der Natur der Dinge wissen wir gar nichts und können nichts wissen. Wir wissen nur das, was in unserm Bewusstsein vorkommt - das ist eine Tautologie, beide Ausdrücke bedeuten dasselbe. In unserm Bewusstsein stecken aber kein Dinge, sondern nur Vorstellungen von Dingen. Allenfalls könnten wir mittelbar etwas von den Dingen wissen, sofern wir Grund zu der Annahme haben, dass den Vorstellungen in unserm Kopf etwas an oder in den Dingen außerhalb unserer Köpfe entspricht. Diese Frage also gilt es zu klären, und danach können wir an die Prüfung der Frage gehen, was wir von den Dingen wissen. Tiefer werden wir in die Wahrheit nicht eindringen.

Wenn wir also die Dinge vorderhand nicht nach ihrem Wesen unterscheiden können, können wir sie doch beobachtend danach unterscheiden, wie sie in unser Bewusstsein hineinkommen: "nach Schönheit" oder "nach Wahrheit"? Auch hier kommen wir mit vordefinierten Begriffen nicht weiter. 'Was ist Wahrheit?' fragte Pontius Pilatus, und 'Was ist Schönheit?' fragte Plato lange davor.

Schön ist nach Kant, 'was ohne Interesse gefällt'. Wenn es mehr sein sollte als technische Brauchbarkeit - wie sollte das vom Wahren nicht auch gelten? Dazu gesellt die scholastische Tradition das Gute - drei Transzendentalien als drei Namen für das Absolute. Drei Namen als drei Weisen des Anschauens; wieder ist die Fragen: Wie kommen sie ins Bewusstsein?

Was wahr ist (und was nicht) wird begriffen, was schön ist (und was nicht) wird angeschaut. Begreifen - nämlich in all seinen möglichen Bestimmungen erfassen - kann ich nur das, was ich zuvor angeschaut habe. Denn nur das ist überhaupt bestimmbar. Begreifen ist Fortschreiten vom Anschauen zum Bestimmen, doch was immer ich bestimmt habe, kann ich wieder anschauen - als ein Bestimmbares, als ein zu-Bestimmen- des; und so weiter in infinitum.

Kann ich Anschauen, ohne zu begreifen? Kann ich anschauen, ohne zu bestimmen? Der moderne Mensch, bürgerliche Subjekt des Vernunftzeitalters, lebt in einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft, wo er nicht lange bestehen könnte, wäre ihm nicht das Bestimmen längst habituell geworden. Gewohnheitsmäßig neigt er zum Bestimmen, doch mit etwas gutem Willen kann er es sich auch verkneifen; aber wollen muss er es.

Das aber wäre das ästhetische Wahrnehmen. Es ist ein Wahrnehmen, das sich des fortschreitenden Bestim- mens enthält. Jeglichen Urteils sich enthalten kann es nicht: Das wäre überhaupt kein Wahrnehmen. Ästhe- tisch nenne ich ein Wahrnehmen, das als solches - ohne allen Vergleich, ohne alle Reflexion - mit einer Wertung verbunden ist: gefällt oder gefällt nicht? ("Ohne Interesse" wohlbemerkt.) 

Damit ist Schluss. Mehr an ihm kann die ästhetische Betrachtung nicht finden, sobald die danach sucht, hört sie auf, ästhetisch zu sein; beginnt sie, aus Bestimmungen weitere Bestimmungen herzuleiten, und macht sich ans Begreifen - das aber nie an ein Ziel kommt; es gilt immer nur vorübergehend.

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Bis hier ist der Ertrag denkbar trivial: Der Forscher mag, wenn es in seinem Temperament liegt, wann immer er mit dem Räsonnieren nicht weiterkommt, nach einem ästhetischen Bild suchen, das ihn immerhin in irgendeine Richtung führt. Wie weit, kann er immer nur ausprobieren, und wenn er Pech hat, merkt er viel zu spät, dass er sich verrannt hat. Mit andern Worten, er ist gut beraten, wenn er seinen bildhaften Phantasien mit Ironie und trockenem Verstand begegnet. Aber irgendein Vor-Urteil braucht der empirische Forscher, denn Erfahrungen laufen einem nicht über den Weg: Man muss sie machen, indem man vorge- fundene Daten mit einem Entwurf vergleicht. Da sind ästhetischen Vor-Urteile so gut wie andere; nur diesem fallen sie leichter jenem, und hinterher propagieren kann man sie besser als alles andere.

Aber es ist wie immer doch etwas vertrackter als auf den ersten Blick. Was ist denn der Sinn des Begrei- fens? Im Unterschied zum anschaulichen Bild lässt sich der Begriff im Gedächtnis archivieren, bei Bedarf hervorholen und - was das weltgeschichtlich Umwälzende an ihm war - einem Andern, der mit dem Be- stimmen auch schon ein Stück vorangekommen ist, mitteilen. (Technisch: aus dem analogen Modus in den digitalen Modus übersetzen.) Um den jeweiligen  Grad der Bestimmtheit mag es immer wieder Missver- ständnisse geben, aber es ist immerhin etwas da, worüber man streiten und worüber man sich vertragen kann. Ohne ein Mindestmaß an Bestimmtheit könnte man nur miteinander handgreiflich werden.

Seit ein solches Mindestmaß an Bestimmtheit im öffentlichen Verkehr als allgemeinverbindlich vorausge- setzt wird, redeten die Menschen von einem Vernunftzeitalter. Nicht so als solle behauptet werden, dass überall die Vernünftigen herrschen. Aber so, dass Vernunft allenthalben als der letztendliche Maßstab gilt.

Ein Ding bestimmen heißt am ihm Merkmale feststellen. Ein Merkmal ist das Verhältnis eines Dings zu einer möglichen Absicht (Zweck, Interesse; auch das Interesse an bloßer Erkenntnis ist ein Interesse). Bestimmungsgrund ist die Absicht, das Ding resoniert nur: Es sind erst die Merkmale, die ein Ding zu einem solchen machen. Der Begriff des Dings ist das Schema seiner Merkmale.

Etwas ins Unendliche fortbestimmen heißt: ein ums andere Merkmal an ihm finden, alias: eine um die andere Absicht an es heften.  

Ins Unendliche fort?

Vernunft bedeutet: an den Dingen Merkmale finden, die jeder wiedererkennt, weil er die Absichten, denen sie gelten, mit allen Andern teilt oder teilen könnte. Es wird der Moment kommen, wo einer, wie vernünftig er auch wäre, die Merkmale nicht wiederkennen kann, weil er die Absichten nicht mehr teilt. Das ist der Normalfall in den Wissenschaften. In der scientific community werden tausende von Bestimmungen geteilt, die über den Horizont des wissenschaftlichen Laien und Normalmenschen hinausgehen, weil seine Absich- ten ganz woanders liegen. Und an der vordersten Front sowohl der empirischen Forschung als auch der Theorie wird Absichten gefrönt, die das Gros der Wissenschaftler nicht versteht, weil es sie nicht mehr oder noch nicht teilt. 

So ist es faktisch. Aber prinzipiell könnte jeder Vernünftige bei genügendem Eifer soweit kommen. Da sind keine Grenzen gesetzt. Die Grenzen der Anschauung wurden jedoch schon längst überschritten. Die Einstein'schen Begriffe vom Raum-Zeit-Kontinuum und von der Raumkrümmung liegen in anschaulicher Forschung gewonnene Daten zu Grunde. Doch vorstellen kann sie sich kein Mensch. Und auch nicht jene mikrophysikalischen Quanten, die mal als Teilchen, mal als Welle erscheinen, und womöglich an zwei Orten gleichzeitig. Niemandem, der die empirischen Forschungen, die diesen Begriffen zu Grunde liegen, nicht selber durchgeführt hat, werden sie je anschaulich werden.

So ist es heute schon. Davor, dass das Bestimmen ins Unendliche fort geht, kann einem nur schwindelig werden. Übereinstimmung wird faktisch gar nicht mehr möglich sein. Es heißt bereits, an deer vordersten Front gälte unter Forschern und Theoretikern, sobald das engste Hyperdetail verlassen wird, eine neue Doxa an Stelle von Wissenschaft - die darauf beruht, dass man seinem Nahbarn eben glauben muss, weil man seine Versuche in der Wirklichkeit nicht wiederholen kann. 

Das Denken wurde zu bestimmt. Wenn einer den Stein des Weisen doch einmal entdecken sollte, wird es nichts nützen, weil er es niemanden mehr wird mitteilen können.

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Oder, wenn schon nicht mehr in Begriffen, doch wieder in Bildern?

Vor Jahr und Tag war viel vom Iconic turn in der Wissenschaft die Rede. Damit war mehr gemeint als bei der oben besprochenen Tagung des Einstein-Forums. Es ging um die Frage, ob die unvermeidliche sprach- liche Form der Mitteilung ihrer Ergebnisse nicht zu einer Fessel für das Denken der Wissenschaft geworden ist.

Das war alles noch zu spekulativ und ist im Sande verlaufen. Allenfalls am Beispiel der damals in größerem Umfang zur Anwendung kommenden Hologramme fand man einen Anhaltspunkt. Aber die dienten auch nur wieder zur Illustration der begrifflichen Vorträge, selber zum Denkzeug taugen sie nicht.


Ein viel weiterer Ausblick öffnet sich freilich auf der gegenüberliegenden Seite der vorstellenden Tätigkeit, da, wo das Ästhetische, wie es sich gehört, 'um seiner selbst willen' wahrgenommen wird: in der Kunst.

'Musik sei nicht zu unbestimmt, um in Worte gefasst zu werden, hat Felix Mendelssohn gesagt, sondern zu bestimmt.

Heute würden wir sagen: Das Musikstück – und jedes Kunststück – ist überbestimmt. So sehr bestimmt, dass es durch allgemein-geltende Zeichen eben nicht sicher erfasst und vollkommen re-präsentiert werden kann. Das Kunststück ist singulär. De singularibus non est scientia – Von einem Einzigen gibt es kein Wissen, sagten die Scholastiker. Das, was ganz allein auf der Welt so ist, wie es ist, das kann durch kein Anderes – Bekanntes – auf der Welt beschrieben werden. Es ist ledig-lich qualeschon quid wäre zu viel gesagt, weil das an ein Verhältnis zu Anderem glauben lässt.' 18. 2. 16

Wie kann aber ein Gegenstand ästhetischer Anschauung 'bestimmt' worden sein? Absichten, Zwecke und Interessen fallen als Bestimmungsgrund aus. Welcher käme sonst in Betracht?

Offenbar kein Verhältnis, in das ich die Anschauung selber setzen will, sondern eines, in dem ich sie vorfinde: anschauliche Verhältnisse. Da haben wir Formate, Proportionen, Farben, Linien, Massen, Rhythmus, Hell-Dunkel-Werte, langsam-schnell und laut und leise und so weiter. Sie alle werden zusammengehalten durch ein ordnendes Prinzip: das Figur-Grund-Verhältnis. Es ist die Grundlage der Gestaltwahrnehmung, und die hat - siehe oben - mit Wahrheit und Erkenntnis nichts zu tun. Aber sie ist unsere. Sie ist die Grundlage allen Anschauens. 

Ästhetische Betrachtung ist Anschauung gegebener Verhältnisse. Sie geschieht ohne andere Absicht als eben die: Verhältnisse anzuschauen.


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Wie ich es also drehe und wende: Ästhetik und Erkenntnis sind zwei paar Schuhe. 

















Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE  

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