Sonntag, 3. Juni 2018

Die Weltseele ist zurück.


In der Neuen Zürcher vom 10. 5. 2018 hat Eduard Kaeser unter dem Titel Die seltsame Wieder- kehr der Weltseele  einen Angriff auf den neuerdings populären "Panpsychismus" geritten. In Naturwissenschaften und vor allem in der Wissensschaftsphilosophie gewänne die Vorstellung von der Welt als einem beseelten Makroorganismus wieder Raum, die im neunzehnten Jahrhun- dert anscheinend restlos von der Idee eines Makromechanismus und letzthin gar als eine Makro- logarithmus verdrängt worden war. Der namentlich angesprochene Godehard Rüntrup hat ihm im selben Blatt geantwortet.

Hier Auszüge aus Kaesers Aufsatz - damit doch nicht der deprimierende Eindruck bleibt, die gegenwärtige philosophische Debatte werde von der wortklaubenden Krittelei der sogenannten Systematiker an den von ihnen so genannten Kontinentalen beherrscht.

 
Ein Kaleidoskop von Zufällen.

... Je mehr die moderne Kosmologie über das Universum herausfindet, desto mehr nimmt auch eine Frage Kontur an: Unser Leben und unser Bewusstsein hängen von derart vielen fein abgestimmten Zufällen in der Geschichte des Universums ab – könnte da mehr als Zufall im Spiel sein? Wäre etwa die Kraft zwischen den Bausteinen der Atomkerne nur etwas schwächer als ihr tatsächlicher Wert, enthielte das Universum nur Wasserstoff. Würden die Massen des Elektrons und der Quarks vom tatsächlichen Wert nur wenig abwei- chen, wäre die Bildung von Atomen und dadurch jede chemische Komplexität physikalisch unmöglich. Das Fresko dieser «Zufälligkeiten» ist überwältigend.

Selbst wenn man nun die Entwicklung der Urmaterie zur hochkomplexen Hirnmaterie einmal als gegeben hinnimmt, stellt sich ein weiteres Problem: Wie erzeugt diese Hirnmaterie unsere Wahrnehmungen, Schmerzen, Gedanken, Wünsche? Die Neurowissenschaften verfügen zwar über immer ausgeklügeltere Modelle der materiellen Gehirnprozesse, die sich während unserer bewussten Handlungen abspielen. Die Erklärung des Auftauchens – der Emergenz – von Bewusstsein aus den Wechselwirkungen der Neuronen ist indes ein nicht eingelöster Anspruch.

In der Naturwissenschaft gäbe es sowas wie ein kollektives Unterbewusstsein: einen Keller voll überwunden geglaubter Ideen und Konzepte, die indes jederzeit wieder ausgegraben und als letzter Schrei wieder ans Tageslicht gebracht werden könnten.

Einflussreiche Physiker wie Eugene Wigner oder John von Neumann erwogen in der Debatte um die Interpretation der Quantentheorie zumindest eine Zeitlang, ob der sogenannte Kollaps der Wellenfunktion als ein Indiz für ein kosmisches Bewusstsein gedeutet werden könnte.

Führende Neurokybernetiker wie Christof Koch und Giulio Tononi haben sogar eine Theorie der integrier- ten Information entwickelt, die es erlauben soll, jedes System, ob natürlich oder künstlich, durch ein Maß an Bewusstheit zu charakterisieren: den sogenannten Phi-Wert Φ. Das ist alles hochelaboriert, aber damit ordnet man Systemen einfach eine neue Eigenschaft zu. Φ als Bewusstheit zu deklarieren, setzt schlicht das voraus, was man erklären will – eine «petitio principii», wie die Philosophen sagen.

Erklärungsdefizite der Physik

Nun handelt es sich bei den panpsychistischen Ansätzen in der Regel nicht um artikulierte Theorien, sondern um ein artikuliertes Misstrauen gegenüber der herkömmlichen Naturwissenschaft. Oft wird ein angebliches Erklärungsdefizit an der Physik diagnostiziert. Sie beschreibe «nur» mathematisch die Aussenansicht der Materie, die Wechselwirkungen der Elementarteilchen, nicht ihre innere Natur.

Das zeugt nun freilich, höflich gesagt, nicht gerade von einem grossen Verständnis der Physik. Zwar be- schreibt die Quantentheorie Masse, Ladung oder Spin tatsächlich nicht mehr wie die klassische Physik als der Materie anhaftende Eigenschaften, sondern als momentane und lokale Zustände eines Feldes. Felder sind die intrinsische Realität der Physik: ein Pool virtueller Teilchen. Daraus erklären sich die Eigenschaf- ten der Materie auf Mikroebene, und sie führen zum Verständnis von Eigenschaften der Materie auf Makro- ebene – erfolgreich in zahlreichen Gebieten der Physik, Chemie, Biochemie und Biologie. Und tatsächlich gibt es heute Versuche, Bewusstseinsphänomene als Quanteneffekte zu deuten, zum Beispiel in der Theorie von Stuart Hameroff und Roger Penrose. Sie ist aber alles andere als akzeptiert.

Besonders beleibt sei letzthin die Frage gewesen, 'wie der Geist in die Materie kommt'. Thomas Nagel habe mit seiner These, "dass alle Elemente der physischen Welt auch mental (seien)" (in Mind and Cosmos 2012) den Ton angegeben. Neuerdings meint Philip Goff, der Geist sei als eine "Bewusstsein-involvierende" Komponente schon drin in der Materie. Das sind allerdings rein verbale Bestimmungen, die sich nicht nur nicht empirisch berschreiben lassen, sondern bei den man sich nkicht einmal etwas vorstellen kann.

Für Goff gibt es allerdings kein Halten mehr. Er unterschiebt dem Universum die Rolle eines Akteurs, der schon in der Urphase dafür sorgte, dass alles «richtig» ablaufen werde. Goff schwingt sich in seiner kosmi- schen Luftnummer zu dem Schluss auf: «Wenn das Universum in der Planck-Epoche seine Gesetze so fein justierte, dass in den nächsten Jahrmilliarden Leben entstehen konnte, dann muss es sich in einem gewissen Sinn auch der Folgen seines Agierens bewusst gewesen sein.» 

Goff postuliert daher eine Grunddisposition des Universums, welche die komplette potenzielle Nachfolge- geschichte bereits in nuce repräsentiert. – Es gibt Geistiges in der Welt, weil die Welt geistig angelegt ist. Und warum ist die Welt geistig angelegt? Weil es Geistiges in der Welt gibt.

Ernst zu nehmen ist der Panpsychismus dennoch, aus einem anderen Grund: als Symptom eines Bedürfnis- ses nach metaphysischem Trost. Eine Welt, die von einer Seele durchwirkt und durchweht wird, spendet existenzielles Grundvertrauen, das Gefühl des Zuhauseseins. Kosmologie und Neurobiologie vermitteln uns kein solches Gefühl. Sie werfen uns in das kalte Bad eines Universums um die absolute Nulltemperatur herum – sie machen uns kosmisch unbehaust. Hier schaudert uns buchstäblich metaphysisch. Und diesem Schauder begegnet der Mensch traditionellerweise mit dem Glauben.


Nota. - Dies schrieb ich in meinem Kommentar zum  Beitrag von Godehard Rüntrup:

Bewusstsein (oder Geist) ist kein Stoff, der ist, nämlich in Raum und Zeit, sondern die Handlung eines - nun ja, nennen wir es einstweilen: - Subjekts, das einem Phänomen, das es (in Raum und Zeit) sinnlich "merkt", eine Bedeutung zuschreibt. Das Phänomen "bedeutet" ihm etwas - nämlich wenn und sofern er die Absicht hat, etwas zu tun. Denn anders wäre die 'Bedeutung' ohne Bedeutung.

Nicht "Strukturen" sind "mit Bewusstsein korreliert", sondern handelnde Subjekte korrelieren 'Strukturen' mit ihren Absichten. Letztere sind der Ausgangspunkt aller Vorstellung; auch der von Natur, Materie und Struktur.

*

Die Frage, was (quale) dasjenige sei, das von der Naturwissenschaft in mathematischen Formeln beschrie- ben wird, unterstellt einen, der - in Raum und Zeit - Absichten hat; der dieses oder jenes will. Nicht nur wollen kann, sondern schlechterdings wollend ist. Die Frage nach dem Was kann nur von Menschen ge- stellt werden. Wenn von Bewusstsein die Rede ist, ist nur von ihnen die Rede; und zwar von ihnen, sofern sie in Raum und Zeit sind, aber nicht von dem an oder in ihnen, das durch mathematische Formen darstell- bar ist. Mathematische Formeln sind Begriffe, und Begriffe ohne Anschauung sind leer. Ein Quale ist das Produkt eines Vorstellungsakts. Ohne den Vorstellenden ist es nicht zu beschreiben.

Historisch zu beschreiben und in Begriffe zu fassen - wenn vielleicht auch nicht in mathematische Formeln - ist, wie und durch welche Bedingungen die Menschen die Fähigkeit zum Vorstellen entwickelt haben. Die Wissenschaft, die das versucht, ist die Anthropologie. Sie tritt an die Stelle der Metaphysik.


Nota II. - Keine Kamelle ist wohl oll genug, um nicht auch noch ausgegraben zu werden. Machen wir uns darauf gefasst, dass demnächst Platos Ideen und Aris Entelechien Urständ feiern. Und lasst uns gespannt sein, wie sich die analytischen Systematiker da zu helfen wissen. Werden sie reuig zu uns kommen und um ein bisschen Historie anpumpen?
JE

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