Mittwoch, 30. Mai 2018

"Panpsychismus": Anthropologie statt Metaphysik II.

Chris Burkhardt, isländ. Gletscherfluss

Eduard Kaeser veröffentlicht in der Neuen Zürcher immer wieder mal Aufsätze zu Tehmen aus dem Grenzbereich von Physik und Philosophie. Am 10. 5. 2018 erschien unter dem Titel Die seltsame Wiederkehr der Weltseele ein kritischer Beitrag über das modische Aufleben des "Pan- psychismus". Er sieht darin den Nachhall alter religiöser und vorwissenschaftlicher mentaler Bil- der. Aber ernst zu nehmen sei der Panpsychismus dennoch: "als Symptom eines Bedürfnisses nach metaphysischem Trost." Zum Abschluss zitiert er den Münchneer Philosophen Godehard Brüntrup: "Wäre es nicht faszinierend, wenn die einfachste und eleganteste Erklärung des Uni- versums gleichzeitig eine wäre, die mit dem Schöpfungsglauben harmoniert?"

Unterm Titel Wer metaphysische Fragen stellt, muss kein Verächter der Physik sein antwortet ihm Brüntrup am 26. 5. 2018 ebenfalls in der Neuen Zürcher:

Der theoretische Physiker Roger Penrose wurde unter anderem bekannt durch seine zusammen mit dem jüngst verstorbenen Stephen Hawking verfertigten Arbeiten zu Singularitäten in der Raumzeit. Penrose ist der Meinung, dass komplexe Konfigurationen von physikalischen Bausteinen allein nicht in der Lage seien, das Entstehen von Bewusstsein zu erklären. Für jede materielle Struktur, die in unserer Welt mit Bewusst- sein korreliert ist, kann man sich eine funktional bedeutungsgleiche Struktur vorstellen, die kein Bewusst- sein hervorbringt. Man nennt dies «das harte Problem des Bewusstseins». Es wird als Fragestellung selbst von reduktionistischen Materialisten gemeinhin akzeptiert.

Penrose hat zusammen mit Stuart Hameroff eine Theorie vorgelegt, nach der es einen Zusammenhang zwischen Quantenmechanik und Bewusstsein gibt. Demnach ist jeder Kollaps der Wellenfunktion (also der Übergang von einem Überlagerungszustand in einen Eigenzustand des Systems) identisch mit einem winzigen Bewusstseinsereignis. Aus dieser Theorie folgt, dass sich Spuren von Bewusstsein bereits in der raumzeitlichen Grundstruktur des Kosmos antreffen lassen. Diese Theorie ist umstritten, aber niemand hält einen hochdekorierten Physiker wie Penrose für einen Verächter der Naturwissenschaften.

Der Physiker Arthur Eddington vertrat die These, dass die Physik ein komplexes Netzwerk von mathematisch-formal erfassbaren Relationen und Funktionen beschreibe, dass sich hinter diesem Aspekt der Materie aber ein «unbekannter Gehalt» verberge, der die Grundlage unseres Bewusstseins sei. Nach Bertrand Russell greift die physikalische Beschreibung nur bestimmte abstrakte Strukturen der Raumzeit heraus. Was die Natur der raumzeitlichen Dinge ist, wird durch die physikalische Beschreibung nicht vollständig erfasst.

Formeln genügen nicht

Dieser Gedanke ist nicht neu. Descartes war einer der Begründer des neuzeitlichen Begriffs des Physischen. Materielle Dinge waren für ihn mathematisch beschreibbare Objekte im Raum. Schon Leibniz hatte erwidert, dass diese Bestimmung des Physischen etwas Wichtiges auslasse. Ausdehnung oder Struktur allein reicht nicht, um zu bestimmen, was ausgedehnt oder strukturiert wird. Hawking hat es in der Gegenwart so formuliert: Selbst wenn wir die Physik mit einer grossen vereinheitlichten Theorie vollendet hätten, so hätten wir doch nichts anderes als Formeln. Wie aus diesen formalen Strukturen eine konkrete Welt werden kann, bleibt noch immer rätselhaft. Hawking fragte: Was haucht den Gleichungen Feuer ein, damit ein konkretes Universum entsteht? Erwies er sich als Verächter der Physik, weil er diese metaphysische Frage stellte? ...

Für den Gegner des Panpsychismus wäre es vielversprechender, zu behaupten, dass es gar keiner intrinsischen Naturen des Physischen bedarf. Es gibt nichts hinter der formalen Struktur. Die ganze Welt ist nur ein System mathematisch beschreibbarer Strukturen. Es gibt nichts, was durch diese Strukturen strukturiert wird. So wie Descartes sagte, dass alles Ausdehnung sei, so kann man sagen, dass alles Struktur sei. Die Fragen «Ausdehnung wovon?» oder «Struktur wovon?» könnte man dann getrost vergessen. Hawkings Frage nach dem, was Feuer in die Gleichungen haucht, geht ins Leere. In letzter Konsequenz besteht die Welt nur aus mathematischen Strukturen und sonst nichts.

In der heutigen Debatte nennt man diese Position den «ontischen strukturalen Realismus». Ich halte diese Position für eine bessere Kritik am Panpsychismus. Sie hat grosse Vorläufer in der Geschichte, etwa den Pythagoreismus, wonach die letzte Grundlage der Welt mathematische Symmetrien und Harmonien sind. Aber: Wie kann aus mathematischen Symmetrien Bewusstsein hervorgehen? Nehmen wir an, wir konstruierten eine hinreichend komplexe virtuelle Welt in einem Computer, die auf eleganten mathematischen Symmetrien beruhte. Wäre damit sichergestellt, dass der Computer etwas erleben könnte? Der nagende Verdacht bleibt bestehen, dass formal-funktionale Struktur allein nicht ausreicht, um Bewusstsein hervorzubringen.

Wenn das aber korrekt ist, dann sind wir durch unser eigenes Bewusstsein mit einem Aspekt des Universums vertraut, der mehr ist als Struktur. Wir wissen nicht genau, was dieses «Mehr» ist. Wir haben bis jetzt keine überzeugende Theorie darüber, wie Bewusstsein in der physikalischen Welt möglich ist. Aber wenn Eddington, Russell und andere recht haben, dann hängt die Beantwortung von Hawkings Frage nach dem Feuer, das in die Gleichungen gehaucht werden muss, mit der Frage nach dem Bewusstsein zusammen. Vielleicht irren sie sich. Aber die Grösse des Gedankens sollte auch der kritische Beobachter zu erkennen vermögen.

Der Autor ist Professor für Philosophie des Geistes an der jesuitischen Hochschule für Philosophie in München.


Nota. - Bewusstsein (oder Geist) ist kein Stoff, der ist, nämlich in Raum und Zeit, sondern die Handlung eines - nun ja, nennen wir es einstweilen: - Subjekts, das einem Phänomen, das es (in Raum und Zeit) sinnlich "merkt", eine Bedeutung zuschreibt. Das Phänomen "bedeutet" ihm etwas - nämlich wenn und sofern er die Absicht hat, etwas zu tun. Denn anders wäre die 'Bedeutung' ohne Bedeutung.

Nicht "Strukturen" sind "mit Bewusstsein korreliert", sondern handelnde Subjekte korrelieren 'Strukturen' mit ihren Absichten. Letztere sind der Ausgangspunkt aller Vorstellung; auch der von Natur, Materie und Struktur.

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Die Frage, was (quale) dasjenige sei, das von der Naturwissenschaft in mathematischen Formeln beschrie- ben wird, unterstellt einen, der - in Raum und Zeit - Absichten hat; der dieses oder jenes will. Nicht nur wollen kann, sondern schlechterdings wollend ist. Die Frage nach dem Was kann nur von Menschen ge- stellt werden. Wenn von Bewusstsein die Rede ist, ist nur von ihnen die Rede; und zwar von ihnen, sofern sie in Raum und Zeit sind, aber nicht von dem an oder in ihnen, das durch mathematische Formen darstell- bar ist. Mathematische Formeln sind Begriffe, und Begriffe ohne Anschauung sind leer. Ein Quale ist das Produkt eines Vorstellungsakts. Ohne den Vorstellenden ist es nicht zu beschreiben.

Historisch zu beschreiben und in Begriffe zu fassen - wenn vielleicht auch nicht in mathematische Formeln - ist, wie und durch welche Bedingungen die Menschen die Fähigkeit zum Vorstellen entwickelt haben. Die Wissenschaft, die das versucht, ist die Anthropologie. Sie tritt an die Stelle der Metaphysik
JE

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