Mittwoch, 10. April 2019

Tautologien und Schlussregeln.


aus spektrum.de, 7. April 2019

Tautologien und Schlussregeln

Von Josef Honerkamp

In dem Exkurs über formale Sprachen im letzten Blogbeitrag haben wir schon die Zeichen und allgemeinere Ausdrücke der Aussagenlogik kennen gelernt. Wir haben gesehen, dass es dort spezielle Zeichenketten gibt, so genannte Tautologien, die stets, d.h. unabhängig von den Wahrheitswerten der einzelnen Zeichen, wahr sind. Wir hatten auch schon eine solche Tautologie vorgestellt, nämlich (A ∧ (A → B)) → B.

Hier soll nun gezeigt werden, wie sich mit Hilfe von Tautologien logisch korrekte Schlussregeln formulieren lassen. Fragen wir aber zunächst, welche einfachen Tautologien es noch gibt und wie man allgemein Tautologien und erzeugen kann. Interessant in diesem Zusammenhang sind dabei natürlich auch Zeichenketten, die immer falsch sind, denn aus deren Negation kann man auch eine Tautologie gewinnen.

Tautologien

Stellen wir erst einmal prominente Tautologien vor:

A ∨¬A ist in jedem Fall wahr, denn entweder ist A wahr oder ¬A. Etwas Drittes gibt es nach unseren Voraussetzungen nicht. Man nennt diese Aussage den Satz vom ausgeschlossenen Dritten. 

Andererseits ist A ∧ ¬A in jedem Fall falsch, denn die Aussage A und die Aussage ¬A können nicht gleichzeitig wahr sein. Es kann z.B. nicht sein, dass es zugleich regnet und nicht regnet. A und ¬A stehen im Widerspruch. Man nennt allgemein einen zusammengesetzten Ausdruck, der unabhängig von den Wahrheitswerten der Einzelaussagen falsch ist, einen Widerspruch. Damit gilt für die Negation

¬(A ∧ ¬A) ist in jedem Fall wahr.

Man nennt diese Aussage den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch.

Hier sollten wir auch die Tautologie aus dem letzten Blogbeitrag noch einmal aufführen.

(A ∧ (A → B)) → B ist in jedem Fall wahr.

Wie findet man nun weitere Tautologien, um auch weitere Schlussregeln, also logisch korrekte Sätze bilden zu können?

Man kann zeigen, dass die Aussagenlogik als ein axiomatisch-deduktives System betrachten kann. Als Axiome kann man z.B. alle Tautologien der Form (von Kutschera & Breitkopf, Alfred, 2007, p. 69)

 A → (B → A),
(A → (B → C)) → ((A → B) → (A → C)),
(¬A → ¬B) → (B → A)

betrachten und als Schlussregel den Modus ponens, den wir ja schon in einem früheren Blogbeitrag erwähnt haben. Gleich werden wir diese Schlussregel wirklich einführen, indem wir sie aus einer Tautologie ableiten.

Alle logischen Ausdrücke, die man nun aus diesen Axiomen mit Hilfe des Modus ponens ableiten kann, sind wieder Tautologien. Damit kann man also beliebig viele Schlussregeln aufstellen. Nur wenige wird man brauchen.

Wir verstehen aber jetzt, warum Ludwig Wittgenstein (1889 bis 1951) sagt: Die Sätze der Logik sind Tautologien. Die Sätze der Logik sagen also nichts (Wittgenstein, 2006, pp. Nr. 6.1, 6.11).

Von Tautologien zu Schlussregeln

Schauen wir uns die Wahrheitstafel für die Tautologie (A ∧ (A → B)) → B noch einmal an:
       
A B A B A ∧ ( A B) (A(A B))B
1 1 1 1 1
1 0 0 0 1
0 1 1 0 1
0 0 1 0 1


Betrachten wir zunächst die erste Zeile, in der beide Prämissen A und A → B wahr sind. Aus der zweiten Spalte dieser ersten Zeile entnehmen wir dann, dass B wahr ist. Die Aussage B muss also notwendig wahr sein, wenn sowohl A wie A→B wahr ist.

Das ist nun ein Schluss, der sich durch Inspektion der Wahrheitstafel einer Tautologie ergibt. Elementarer kann ein Schluss nicht sein. Dies ist auch der Schluss, mit dem alle anderen Schlussregeln gewonnen werden können. Hier haben wir also den Ursprung des logischen Schließens vor uns, die „Mutter“ aller Schlussregeln.

Man schreibt, mit dem Zeichen „⊨“ für einen logischen Schluss:

A ∧ (A → B) ⊨ B,

aber auch oft in einer Form, in der die einzelnen Prämissen nur jeweils durch ein Komma getrennt sind:

A, (A → B) ⊨ B.

Das Symbol „⊨“ ist kein Zeichen der Aussagenlogik, sondern eine Abkürzung für die Formulierung „daraus folgt logisch“ in der Umgangssprache. Ansonsten müssten wir ja mit diesem Symbol rechnen können wie mit „∧“ oder „∨“. Es drückt nur die Beziehung zwischen den Aussagen A ∧ (A → B) und B in der Metasprache, unserer Umgangssprache, aus:  Im Falle, dass die Aussage A wahr ist und im Falle, dass aus A die Aussage B folgt, dann ist B wahr.

Man ist vielleicht zunächst verwirrt und fragt, wozu der ganze Aufwand.  Das wusste man doch längst. Es ist in der Tat trivial, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn das Wort „trivial“ wurde im Mittelalter auf Einsichten gemünzt, die man im Trivium, der untersten Stufe der Ausbildung in einer Klosterschule erlangen konnte. Dieses Trivium wiederum wurde schon in der Antike nach einem Platz genannt, zu dem drei Wege führen und an dem sich deshalb viele zusammenfinden können, die gleicher Meinung sind.

Hier ist aber nun in einer formalen Sprache ganz konkret realisiert, was Aristoteles schon definiert hat: „Ein Schluss ist also eine Rede, in der bei bestimmten Annahmen etwas anderes als das Vorausgesetzte auf Grund des Vorausgesetzten mit Notwendigkeit folgt.“ (nach Schupp, I, S.267). Die Betonung liegt auf „Notwendigkeit“.

Dieser Schluss wird Modus ponens genannt. Er ist der prominenteste logische Schluss, war schon in der Antike bei den Philosophen der Stoa bekannt und Thema vieler Diskussionen im Mittelalter (siehe „Die Logik der Stoiker“).

Wir wollen noch untersuchen, was uns dieser Schluss sagt, wenn eine der Prämissen oder beide falsch sind. Auf jeden Fall ist dann die gesamte Prämisse falsch, weil ja die einzelnen Prämissen durch ein „∧“ verknüpft sind. Wir extrahieren dafür aus der obigen Tabelle die beiden relevanten Spalten aus und ordnen sie etwas anders an:

A (A B) B
1 1
0 0
0 1
0 0


Ist also die Gesamtprämisse falsch (2. bis 4. Zeile), kann B wahr, aber auch falsch sein, d.h. über den Wahrheitswert von B kann nichts ausgesagt werden. Aus einer falschen Prämisse kann man alles ableiten. Das ist zunächst überraschend, und in der Geschichte der Logik wurde das lange diskutiert. Aber wenn man sowohl B wie ¬B ableiten kann, dann ist die Schlussregel eben sinnlos.

Aus der Betrachtung des Modus ponens können wir lernen, wie man nun allgemein eine Schlussregel erzeugen kann: Aus jeder Tautologie, die sich in der Form

M → B schreiben lässt, kann man die Schlussregel
M ⊨ B

gewinnen, denn dann folgt aus der Wahrheitstafel für „→“ sofort, dass unter der Voraussetzung, dass M wahr ist, auch B wahr sein muss, denn diese Implikation M → B ist ja nach Annahme eine Tautologie und damit wahr.

Dies ist eine Aussage auf der Metaebene, nicht im Kalkül der syntaktischen Ebene. Wir wissen aber, dadurch dass M → B eine Tautologie ist, dürfen wir auf der syntaktischen Ebene von der Zeichenkette M zum Zeichen (zur Zeichenkette) B übergehen, ohne dass man dabei auf der semantischen Ebene den Bereich der wahren Aussagen verlässt. Wir schreiben das in der Form

M ⊢ B,

und nennen diese Operation auf der syntaktischen Ebene eine Ableitung. Das, was auf der semantischen Ebene also eine Folgerung ist, nennt sich auf der syntaktischen Ebene eine Ableitung.

Auf der syntaktischen Ebene dürfen wir also von der Zeichenkette M zum Zeichen bzw. zur Zeichenkette B übergehen, ohne dass man dabei auf der semantischen Ebene den Bereich der wahren Aussagen verlässt.

Man weiß aber nun, wie man auf der syntaktischen Ebene „rechnen“ darf, nämlich nach den Regeln für die Bildung von Zeichenketten und nach Schlussregeln, mit denen man bestimmte Zeichenketten in andere umformen darf, welche dann auch meistens kürzer sind. Solch ein System von Rechenregeln nennt man einen „Kalkül“.

Die Aussagenlogik hat also mit irgendeiner inhaltlichen Bedeutung der Aussagen nichts zu tun. Sie stellt gewissermaßen nur die Gleise bereit, auf denen Wahrheit von Aussagen sicher von Prämissen zur Konklusion transportiert werden kann. Falsche Aussagen führen auf solchen Gleisen in die Beliebigkeit. Ohne Wahrheit der Prämissen ist also „alles nichts“. Das wird uns noch beschäftigen.
Zwei Anmerkungen sind hier am Platze:

Sei
A: = „2 + 2 = 4“,
B ≔ „Freiburg liegt im Süden Deutschlands“. 

Die Aussagen A und B sind wahr, also auch die Implikation A → B, d.h. Wenn 2 + 2 = 4 ist, dann liegt Freiburg im Süden Deutschlands“. Der Ausdruck A → B ist also wohl geformt, aber sinnlos. 
Dann ist auch der logische Schluss 

A, A → B ⊨ B

sinnlos. Das muss nicht irritieren. Auch in unserer Umgangssprache können wir grammatisch korrekte Sätze bilden, die sinnlos sind: „Der Mond labert roten Anzug“. Die Gleise sind nicht verantwortlich für das, was darauf fährt. Sinnlos sind ohnehin inkorrekt gebildete Sätze bzw. nicht wohl formulierte Ausdrücke.

Oft hört man sagen: „Ist doch logisch, oder?“ und der Sprecher meint damit, dass ihm die Folgerung unmittelbar einleuchtet. Dieses Gefühl bezieht sich aber wohl nicht auf die Schlussregel, sondern auf die Implikation, die für dem Sprecher selbstverständlich wahr ist. Der Sprecher verwechselt also den logischen Schluss mit seiner Annahme, dass seine Prämisse wahr ist. Er müsste eigentlich sagen: „Ist doch eine plausible Annahme für den Modus ponens, oder?“. Man würde ihm ehrwürdiges Verständnis entgegenbringen.

Bedeutende Schlussregeln in Anwendungen

Der Modus ponens ist auch in verallgemeinerter Form wohl die prominenteste Schlussregel. Sie lautet:

(A1 ∨ A2 ∨ …   ∨ An A) ∧ (¬A ∨ B1 ∨ B2 ∨ …   ∨ Bm)
  ⊨ A1 ∨ A2 ∨ …  ∨ AnB1 ∨ B2 ∨ …   ∨ Bm.

Der fett gedruckte Anteil an der Prämisse stellt genau den einfachen Modus ponens. Dieser Term erscheint dann auch entsprechend als B1 in der Konklusion.

Hier geht man in der Prämisse von einer Zeichenkette in Normal- bzw. Standardform aus, in die man jede Zeichenkette durch ein systematisches Umformungsverfahren bringen kann. Ganz allgemein lautet diese Normalform:

(A1 ∨ A2 ∨ …   ∨ An) ∧ (B1 ∨ B2 ∨ …   ∨ Bm).

Solche Verfahren und Anwendungen von Schlussregeln wie des verallgemeinerten Modus ponens sind in so genannten Resolutionsalgorithmen implementiert. Die Länge der Zeichenkette kann dabei sukzessive verringert werden. Im Rahmen des Programms „Prolog“ z.B. kann solch ein Algorithmus auf einem Rechner abgearbeitet werden.

Eine besonders beliebte und schon in der Antike bekannte Schlussregel in der Mathematik ist der Beweis durch Widerspruch:

Will man beweisen, dass eine Aussage A eine andere Aussage B impliziert, dass A also eine hinreichende Bedingung für B ist, so nimmt man für den Beweis bekanntlich zunächst an, dass neben einer Prämisse A auch ¬B wahr ist. Wenn man dann daraus einen Widerspruch ableiten kann, kann ¬B nicht wahr sein. Also muss B wahr sein, denn ein Drittes gibt es nicht. Hier wird also gezeigt, dass die Negation einer Annahme auf einen Widerspruch reduziert werden kann. Man nannte diese Beweisform im Mittelalter deshalb auch „reductio ad adsurdum“.

Der Widerspruch kann sich z.B. darin zeigen, dass man aus A ∧ ¬B eine Aussage C, aber auch die Aussage ¬C ableiten kann. Um zu zeigen, dass diese Strategie auch als eine Schlussregel darstellbar ist, muss man nur die zugehörige Form M → B finden. Diese ist

((A ∧ ¬B) → C) ∧ ((A ∧ ¬B) → ¬C) → (A → B).

Dies ist in der Tat eine Tautologie und somit lautet die Schlussregel:

((A ∧ ¬B)  C) ∧ ((A ∧ ¬B) → ¬C) ⊨ (A → B).

In einer etwas anderen Form benutzt man den Beweis durch Widerspruch an, wenn man wissen will, ob eine Aussage B in einer Wissensbasis W enthalten ist und damit auch wahr ist. Man fragt also danach, ob

W ⊨ B

gilt. Das ist der Fall, wenn W → B, also ¬W ∨ B eine Tautologie ist. Da ¬W ∨ B sich in ¬(W ∧ ¬B) umformen lässt, müssen wir also danach fragen, ob ¬(W ∧ ¬B) eine Tautologie und damit W ∧ ¬B ein Widerspruch ist. Wir können also feststellen:

Eine Aussage B kann man also aus einer Wissensbasis W deduzieren, wenn

W ∧ ¬B

einen Widerspruch darstellt. Das ist auch plausibel: Wenn die Information von B in W enthalten ist, muss bei der Auswertung des Ausdrucks W ∧ ¬B der Widerspruch B ∧¬B irgendwie zum Tragen kommen.

Um nun zu zeigen, dass W ∧ ¬B zu einem Widerspruch führt, formt man den Ausdruck W ∧ ¬B im Rahmen des Kalküls auf die disjunktive Normalform um und reduziert dann den erhaltenden Ausdruck sukzessive mit Hilfe des verallgemeinerten Modus ponens, bis sich ein Ausdruck zeigt, der einen Widerspruch darstellt – oder auch nicht, je nachdem, ob die Aussage B in der Wissensbasis W enthalten ist oder nicht. 

Der Beweis der Pythagoreer, dass es unendlich viele Primzahlen gibt, ist z.B. von dieser Form. Die Aussage B ist dann: Es gibt unendlich viele Primzahlen. Die Aussage ¬B lautet: Es gibt nur endlich viele Primzahlen. Die Wissensbasis besteht aus den Regeln der Arithmetik für ganze Zahlen.

Auf dieser Basis von ¬B und mit dem Wissen von W zeigt man dann, dass man zu jeder Menge von endlich vielen Primzahlen immer eine neue Primzahl finden kann, also ¬B falsch ist, im Widerspruch zur Annahme W ∧ ¬B.  


Nota. -
Die Sätze der Logik sind Tautologien. Das haben wir längst geahnt, aber wenn es eine Koriphäe wie Wittgestein sagt, dürfen wir Laien es auch aussprechen, sogar öffentlich.

Die Sätze der Logik sagen nichts; sie gehören daher nicht in die Philosophie - auch das ahnten wir schon.

Als Josef Honerkamp seinerzeit die Serie Griechische Philosophie für Naturwissenschaftler begann, war nicht abzusehen, dass sie nirgends sonst hinführen würde als bis dahin. Hätte er uns vorgeführt, wie die eine oder andere naturphilosophische Spekulation der Alten sich in neueren Theorien immerhin als Denk- figur wiederfinden, wie etwa das Swinging universe der Stoiker, so wäre das immerhin 'interessant' gewe- sen, wenn sich auch sonst nicht viel draus machen ließe. So aber kann ich nur hoffen, dass einige meiner Leser auch diese Einführungslektionen in die Logik immerhin interessant gefunden haben, und sei es als Denksport.

Dies, um zu sagen, dass ich mir den nächsten Beitrag von J. Honerkamp in spektrum daraufhin anschauen werde, ob ich ihn in mein Blog übernehmen soll.
JE

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