Freitag, 12. April 2019

Freiheit liegt außerhalb des Bewusstseins.



Einer Freiheit außer mir kann ich mir überhaupt gar nicht unmittelbar bewusst sein. Nicht einmal einer Freiheit / in mir oder meiner eigenen Freiheit kann ich mir bewusst werden, denn die Freiheit an sich ist der letzte Er- klärungsgrund alles Bewusstseins und kann daher gar nicht in das Gebiet des Bewusstseins gehören. 

Aber - ich kann mir bewusst werden, dass ich mir bei einer gewissen Bestimmung meines empirischen Ich durch meinen Willen einer andern Ursache nicht bewusst bin, als dieses Willens selbst, und dieses Nichtbe- wusstsein der Ursache könnte man wohl auch ein Bewusstsein der Freiheit nennen, wenn man sich nur vorher gehörig erklärt hat, und wir wollen es hier so nennen. In diesem Sinne kann man sich selbst einer eigenen Hand- lung durch Freiheit bewusst werden.
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 J. G. Fichte, in Von den Pflichten der Gelehrten, Hamburg 1971 [Meiner], S. 14f. 


Nota I. - So sagt schon Spinoza: Die Illusion der Willensfreiheit beruhe nur darauf, dass man die wahren Be- stimmungsgründe seines eignen Willens nicht kenne. - Also das Nichtwissen von einem äußeren Bestim- mungsgrund meines Willens besagt philosophisch gar nichts über denselben. Zugleich ist es aber eine der mächtigsten Tatsachen des Bewusstseins, von der ich kaum abstrahieren kann.

29. 10. 17

Nota II. - Das stärkste empirische Zeugnis für die Freiheit meines Willens ist das Vermögen, nein zu sagen. Es ist nach Max Scheler der eigentliche Unterschied zwischen Mensch und Tier. Es ist inzwischen neurowissen- schaftlich verbürgt; alle vorausgegangenen Verhaltensdispositionen, so unbewusst und fremdbestimmt immer waren, kann ein Mensch 'im letzten Moment' stornieren - so dass man hinzufügen könnte: Eigentlich kann der Mensch nicht ja sagen, denn jedes Ja ist immer nur ein unterlassenes Nein. Wobei so ein Nein in den meisten Alltagsfällen vermutlich mehr aus Gedankenlosigkeit unterbleibt als aus gewählter Absicht; daher die Plausi- bilität von Spinozas Einwand. Doch ein Nein muss, um ausgesprochen zu werden, gewollt sein. Und das ist möglich, das kann nun kein Spinozist mehr bestreiten.

Aber das ist empirische Psychologie, die Transzendentalphilosophie handelt von etwas Anderm. Sie handelt von der Möglichkeit der Vernunft, die nicht anderes ist als das Vermögen, aus Freiheit absolut anzufangen. Das lässt sich schlechterdings nicht erweisen, denn es ist die Bedingung jeder vernünftigen Erwägung. Es erweist sich praktisch an dem Umstand, dass 'Vernunft vorkommt'.

Aber hintenrum ist die Neurophysiologie doch nicht ganz gleichgültig für den Philosophen. Wenn sie nämlich durchgängig positive Determination nachweisen müsste, von den Meldungen der Sinneszellen an die Neurone und von dort an die ausführende Muskulatur, dann hätte die Transzendentalphilosophie Mühe, es zu erklären; aber versuchen würde sie es auch dann.
JE




Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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