Donnerstag, 14. März 2019

Gibt es eine Neurologie des Sittlichen?

                                                       aus Neurophysiologie des Sozialen.

'..."Wird dem Gehirn die Fähigkeit genommen, eigene Wertvorstellungen und finanzielle Anreize gegeneinander abzuwägen, halten Menschen offenbar eher an ihren moralischen Überzeugungen fest", erläutert Ruff das Ergebnis. "Selbst höhere finanzielle Anreize haben dann weniger Einfluss." Für den Neuroökonomen eine interessante Erkenntnis, denn: "Grundsätzlich wäre es auch denk- bar, dass Menschen intuitiv finanzielle Interessen verfolgen und sich erst aufgrund ihrer Abwägun- gen für den altruistischen Weg entscheiden."

... Daraus folgern die Wissenschafter, dass der rechte temporoparietale Kortex nicht Sitz altruisti- scher Motive an sich ist, sondern uns die Fähigkeit vermittelt, moralische und materielle Werte gegeneinander abzuwägen.'

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Das 'radikal Böse im Menschen' ist nach Kant seine Fähigkeit, das, was er als gut oder richtig erkannt hat, nicht zu tun. Mit andern Worten: Das Gute und Richtige sei für den Menschen das, was ihm am nächsten liegt. Die Untugend ist demgegenüber sekundär und nur als Folge einer zusätzlichen Reflexion möglich.

Dies scheint dieser Test zu beweisen.
 

Doch haben Sie's bemerkt? Moralisch, hilfsbereit, sozial, altruistisch - das ist für die Zürcher Forscher alles ein- und dasselbe. Dagegen stehen materiell, egoistisch, Interessen und Anreize. Gut und böse kommen dagegen gar nicht vor.

Das liegt an der Versuchsanordnung. Die Prämisse ist: Es ist neurobiologisch lokalisierbar. Der unausgespro- chene Hintergedanke: Es ist stammesgeschichtlich erworben und hat in der Hirnstruktur einen physischen Niederschlag gefunden; nämlich beide Fähigkeiten ihren je eigenen.


Wenn man nun experimentell herausfindet, welches von beiden das andere dominiert, kann man sagen: Das ist unser Eigentliches, es entspricht unserer innersten Natur, ist das Primäre. Zum Glück hat sich gefunden, dass es Charakerzüge sind, die die Kooperation begünstigen; was zu erwarten war, weil auf der Grundlage familiärer Gruppenbildung die Gattung H. sapiens überhaupt erst entstanden ist: Auf der Grundlage eines konkurrenziel- len Kampfes jeder gegen jeden wäre das nicht möglich gewesen.

Nun hat der Gruppenvorteil mit Moral genausowenig zu tun wie der Eigennutz. Er erlaubt größere Gruppen- bildung, innere Differenzierung, höhere Arbeitsteilung und Kooperation. Er ist wirtschaftlich erfolgreicher. Nämlich en gros. En détail mag der Privatvorteil doch immer seinen Reiz haben: Es ist eine Sache des Abwä- gens und der Reflexion. 

Auf die allein hat die Evolution sich nicht verlassen mögen: Sie hat daher die Priorität des Sozialen genetisch verankert, und wie der Test zeigt, tat sie gut daran.

Merke: Das Soziale ist - wie das Recht - das, was ich meinen Nächsten schulde. Moral dagegen schulde ich mir und keinem andern. Was ich unter Ich verstehe, hat die Evolution noch nicht in unsere Gehirne eingebaut, da- für ist es phylogenetisch zu rezent; es entstand mit der bürgerlichen Gesellschaft. Für eine ganze Weile werden wir es noch, jeder für sich, immer wieder neu selber entscheiden müssen. Es ist keine Sache von Auslese und Anpassung, sondern von selbst-Bestimmung.

Das Bestimmen ist uns freilich erst möglich, seit der rechte temporoparietale Kortex die Versuchung zugelassen hat: das Gute am Schlechten; der Sitz des radikal Bösen im Menschen, mit Kant zu reden.




Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

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