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Wahr
ist ein Satz, der ohne Bedingung gilt. Ein Satz über Tatsächliches gilt
nur unter der Bedingung, dass tausenderlei sachliche Voraussetzungen gegeben
sind. 'Die Sonne scheint' ist nur wahr, wenn die Sonne scheint. Ein
Satz über Tatsächliches, der zugleich alle Bedingungen angibt, unter
denen er gilt, ist unbedingt wahr. Allerdings ist er im Grenzfall
tautologisch bis absurd.
So
verfahren die (nomothetischen) Naturwissenschaften. Dass die Bedingungen
restlos genannt werden, be- sorgt das Protokoll der Versuchsanordnung.
Die ebenfalls in die Versuchsanordnung und umso mehr in die Auswertung
eingehenden unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten - alias
Paradigmen - werden selbstver- ständlich nicht mit ausgesprochen; sonst
wären sie nicht selbstverständlich. So erweisen sich manche
natur- wissenschaftliche Befunde mit der Zeit als nur ein bisschen wahr.
Ein idiographischer Satz aus den sog. Geisteswissenschaften
kann die Bedingungen seiner Geltung nicht aussprechen: Sie sind nicht
alle bekannt. Die Naturwissenschaften legen ihrer Forschung die Annahme
von Gesetzen zugrunde. Ein Jedes ist Wirkung einer oder vieler Ursachen; diese müssten sie aufsagen können. Die
idiographischen Disziplinen setzen die Wechselwirkung lebender
Individuen voraus. Diese lassen sich nicht kausal darstellen. Die
Wahrheit in den idiographischen Disziplinen ist 'lediglich' eine pragmatische: indem ihre Aussagen (um/zu statt weil) praktische Schlussfolgerungen erlauben, die sich ihnerseits bewähren können
(oder nicht). Wenn also die kritische Arbeit eines Rezensenten dem
Dichter die Augen öffnet und zu einem großen Wurf anregt; oder wenn die
Lehren aus einem historischen Ereignis die Politik befähigt,... (ach je).
Aber ob oder ob nicht, wird immer wieder dem Meinungskampf unterliegen,
der sich seinerseits nur - pragmatisch entschei- den lässt, durch
Bewähren oder Scheitern. Die Wahrheiten der idiographischen Fächer
hängen gewissermaßen in der Luft. Darum lässt sich auf ihnen auch nicht
aufbauen wie in den Naturwissenschaften: Eine Akkumula- tion geprüften
Wissens findet in ihnen nicht statt, man fängt irgendwie immer von vorne
an. Da hat es die Intuition dann leichter als das logische Argument -
sie bewährt sich öfter.
20. 10. 13
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