Dienstag, 29. Dezember 2015

Realismus ist nicht naiv.


Du gebrauchst Solipsismus als ein bloßes Schimpfwort immer da, wo das Denken sich selbstkritisch nach seinen faktischen (!) Voraussetzungen fragt. Als sei die Kritik an deinem (fälschlich so genannten) Naiven Realismus – "es gibt nur Dinge" – schon die (umgekehrte) dogmatische Behauptung: "Es gibt nur mich." Letzteres hat ja nicht einmal der dogmatische Idealismus von Bischof Berkeley gelehrt – so dogmatisch er sonst war. Schon gar nicht der kritische Idealismus der Transzendentalphilosophie; der nämlich deshalb kritisch ist, weil er die Be-rechtigung ontologischer (und sonstwie metaphysischer) Aussagen geradezu bestreitet.

Wieso ist euer Realismus in keiner Weise naiv, sondern säuerlich-schlau? Weil das natürliche Weltbild der Kinder überhaupt nicht realistisch ist, sondern magisch-animistisch. Naiv ist, nach Schiller, "eine Kindlichkeit da, wo man sie nicht mehr vermutet". Das ist ja gar nicht euer Fall. Ihr seid, obwohl erwachsen, kindisch-alt-klug, ihr wähnt euch über die Blödigkeit der Kinder haushoch erhaben, weil ihr an die 'Dinge' wie an einen Fetisch glaubt. Da ist mir der Animismus der Kinder immer noch lieber, denn deren Fetische sind wenigstens belebt, sie gehorchen ihrer Einbildungskraft und nicht einem "Naturgesetz".

Noch einmal ganz deutlich: Du "erkennst" überhaupt keine 'Dinge' (wohl gar 'an-sich'?), sondern tatsächlich nur "Eigenschaften", die du aber schon vorher 'kanntest', indem du ja nach ihnen gesucht hast. Ohne dieses wäre nämlich das, was du eine "Eigenschaft" nennst, nichts als ein gestaltloses Bündel von Sinnesdaten bar jeglicher Bedeutungen, durch welche man sie auf-einander beziehen und also ein-und-derselben 'Sache' zuschreiben kann, die du so apodiktisch ein 'Ding' nennst. Und die Bedeutungen, die du den Sinnesdaten zuschreibst, um sie zu einander zu fügen, das sind deine Intentionen (weshalb die mittelalterliche Scholastik den Begriff 'Bedeu-tung' mit lat. intentio wiedergegeben hat).


aus e. online-Forum, 4. 9. 08






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