Donnerstag, 17. Dezember 2015

Manfred Frank über das Selbstbewusstsein.



aus nzz.ch, 9. 12. 2015

Manfred Frank über das Phänomen des Selbstbewusstseins
Zu den «Rätseln» der Philosophie gehört das menschliche Selbstbewusstsein. Wer oder was ist sich da seiner selbst bewusst – und wie? Solchen Fragen geht Manfred Frank in seinem neuesten Buch nach.

von Manuela Lenzen

Wie kann der Mensch sich bewusst werden, was in seinem Kopf vor sich geht? Eine gängige Antwort lautet: durch eine Art innerer Registrierung. Der Geist wendet sich auf sich selbst zurück, ein Gedanke höherer Ordnung registriert den Gedanken niederer Ordnung und macht ihn so bewusst. Um seinerseits bewusst zu werden, müsste sich freilich ein Gedanke dritter Ordnung wiederum auf jenen zweiter Ordnung zurückwenden – und so ins Unendliche. «Higher-order theories of consciousness» heissen solche Kon-strukte in der gegenwärtigen Philosophie des Geistes, und offenbar steckt in ihnen der Wurm.

Überzeugen kann man sich davon bereits bei Johann Gottlieb Fichte und seiner spätidealistischen Bewusstseinsphilosophie, einfacher ist es freilich, sich von Manfred Frank an die Hand nehmen zu lassen. Der emeritierte Tübinger Philosophieprofessor bringt seit längerem kontinentale und angloamerikanische Denker, die das «urkontinentale» Themenfeld Selbstbewusstsein und Selbstwissen durchstreifen, in Tagungen und Sammelbänden zusammen. Seine Vorstellungen zur stimmigen Beschreibung des Phäno-mens Selbstbewusstsein hat er jüngst in vier Vorlesungen an der Universität Halle zusammengefasst, die jetzt gedruckt vorliegen.

Der Titel «Präreflexives Selbstbewusstsein» geht auf Jean-Paul Sartre zurück – und dessen Gedanken will Frank präzisieren: Selbstbewusstsein könnte auch durch noch so viele aufeinandergestapelte höherstufige Reflexionsprozesse nicht entstehen. Darum müssen wir es als ein unmittelbar und vor aller Reflexion «mit sich bekanntes» Etwas voraussetzen. Selbstbewusstsein, so Frank, darf nicht als ein Verhältnis zweier Instanzen verstanden werden, damit die Vorstellung eines «inneren Akkusativs» – wer registriert wen? – gar nicht erst aufkommt.

Zu den Anleihen bei Sartre kommen solche bei Fichte, Novalis, Bolzano und der Heidelberger Schule um Dieter Henrich hinzu. Wichtig ist zudem die Auseinandersetzung mit dem neuen «Selbstrepräsentationalis-mus». Diesem gemäss braucht ein Gedanke keinen Gedanken höherer Ordnung, um bewusst zu werden, der Gedanke repräsentiert sich selbst. Diesem Ansatz steht Frank deutlich näher als den "higher-order theories", doch zufrieden ist er mit ihm so wenig wie mit demjenigen Sartres oder Fichtes. Während die beiden Letztgenannten versuchen, Selbstbewusstsein und Selbstwissen zu unterscheiden und das eine aus dem anderen abzuleiten, sind Wissen und Bewusstsein für Frank nur Erscheinungsweisen ein und derselben Selbstbeziehung.

Frank versteht es wie wenige, die Argumente der klassischen deutschen und der neuesten analytischen Philosophie zusammenzubringen. Anders als vielleicht zu erwarten, ziehen in Sachen Präzision die Analytiker dabei den Kürzeren: Frank wirft ihnen «schlampige Rede» vor und bemüht sich, es genauer zu machen – was dem Leser einiges abfordert. Das philosophische Traditionen übergreifende Gespräch über diese Fragen, konstatiert Manfred Frank, habe gerade erst begonnen.

Manfred Frank: Präreflexives Selbstbewusstsein. Vier Vorlesungen. Reclam, Stuttgart 2015. 188 S., Fr. 28.90.


Nota. – Dass ich auf dieses Buch zurückkommen werde, kann ich schon absehen, aber noch bin ich nicht so weit. Vorläufig will mir scheinen, dass Manfred Frank die Frage behandelt, 'wie Bewusstsein und Selbstbe-wusstsein wirklich entstehen' – was doch aber letztlich eine Frage der empirischen Psychologie wäre. Seine Bezugnahme auf Sartre ist ganz plausibel, der kommt von Husserl her, welcher sich, bei aller Kritik am 'Psychologismus', doch letzten Endes selber auch realpsychologisch und nicht, wie er meinte, auf transzen-dentale Weise mit der Entstehung des Bewusstseins auseinandersetzt.

Letzteres tut aber Fichte, dessen Wissenschaftslehre nicht die aufeinander folgenden Etappen oder 'Stufen' der Bewusstwerdung beschreiben will, sondern ein Modell (er nennt es Schema) außerhalb von Raum und Zeit entwirft, das lediglich angibt, wie man den tatsächlich stattfindenden Prozess (den die Psychologie analysieren mag) zu verstehen hat. Es ist ein Sinndeutung, keine Tatsachenbehauptung wie die Psycholo-gie. Sie setzt eine Anthropologie voraus – oder begründet sie, wie man will. Sie steht jedenfalls der prakti-schen Philosophie näher als der rein theoretischen. 

(In Fichtes Modell folgt nicht, und sei es nur 'logisch', das Selbstbewusstsein aus der Selbstreflexion des Gegenstandsbewusstseins, sondern folgt – logisch – das Objektbewusstsein aus dem Selbstbewusstsein, welches die Bedingung aller Bewusstheit ist)

Noch bin ich in Manfred Franks Buch nicht einmal in der Mitte, also ist Obiges ins Unreine gesprochen. Da liegt noch Arbeit vor mir.
JE



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