Mittwoch, 25. November 2015

Der Wille zur Wahrheit und mein Stolz.

Cecil

Denn im Reiche des Denkens sind Macht und Ruf schlecht zu behaupten, die sich auf dem Irrthum oder der Lüge aufbauen: das Gefühl, dass ein solcher Bau irgend einmal zusammenbrechen könne, ist demüthigend für das Selbstbewusstsein seines Baumeisters; er schämt sich der Zerbrechlichkeit seines Materials und möchte, weil er sich selber wichtiger als die übrige Welt nimmt, Nichts thun, was nicht dauernder als die übrige Welt wäre. 

Im Verlangen nach der Wahrheit umarmt er den Glauben an die persönliche Unsterblichkeit, das heisst: den hochmüthigsten und trotzigsten Gedanken, den es giebt, verschwistert, wie er ist, mit dem Hintergedanken "pereat mundus, dum ego salvus sim!" Sein Werk ist ihm zu seinem ego geworden, er schafft sich selber in’s Unvergängliche, Allem Trotzbietende um. Sein unermesslicher Stolz ist es, der nur die besten, härtesten Steine zum Werke verwenden will, Wahrheiten also oder Das, was er dafür hält. Mit Recht hat man zu allen Zeiten "das Laster des Wissenden" den Hochmuth genannt, — doch würde es ohne dieses triebkräftige Laster erbärmlich um die Wahrheit und deren Geltung auf Erden bestellt sein. 

Darin dass wir uns vor unsern eigenen Gedanken, Begriffen, Worten fürchten, dass wir aber auch in ihnen uns selber ehren, ihnen unwillkürlich die Kraft zuschreiben, uns belohnen, verachten, loben und tadeln zu können, darin dass wir also mit ihnen wie mit freien geistigen Personen, mit unabhängigen Mächten verkehren, als Gleiche mit Gleichen — darin hat das seltsame Phänomen seine Wurzel, welches ich "intellectuales Gewissen" genannt habe. — So ist auch hier etwas Moralisches höchster Gattung aus einer Schwarzwurzel herausgeblüht. 
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Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, Band II, 2. Ausgabe; 

aus N° 26




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