Donnerstag, 12. November 2015

Das Schisma zwischen Kontinentalen und Worterklärern.



In der von Manfred Frank und Tobias Rosefeld in der FAZ begonnenen Kontroverse hat vorgestern am selben Ort der Berliner Philosoph Rolf-Peter Horstmann das Wort ergriffen. Hier aus seinem insgesamt lesens-werten ausführlichen Text nur ein kurzer Ausschnitt:

"... Was dagegen die sich als systematisch verstehenden philosophischen Forscher betrifft, so werden auch sie in ihrer übergroßen Mehrzahl keineswegs Rosefeldts Beschreibung entsprechen. Dies deshalb, weil die meisten zwar irgendwelche Fragen beantworten, zugleich aber vollständig unklar ist, was an diesen Fragen philosophisch sein soll. Natürlich steht es einem frei, jede Frage, die in irgendeinem Sinn kontrovers beantwortet werden kann, eine philosophische zu nennen. Die seltsame Vermehrung der Subdisziplinen der Philosophie (Umweltphilosophie, Wirtschaftsphilosophie, Sportphilosophie, Internetphilosophie, Neurophilosophie und vieles andere mehr) könnte als Indikator dafür genommen werden, dass diese Freiheit bedenkenlos genutzt wird.

Molekularsprache der Analytik


Doch die Kehrseite dieser Freiheit ist der Schrecken, eigentlich gar nichts mehr mit der Rede von philosophischen Fragen meinen zu können. Rosefeldts hehrer Traum vom systematischen Selbstdenker wird daher entweder von allen verwirklicht, die irgendeine Meinung zu irgendeinem Thema irgendwie verteidigen, oder er kann nur durch diejenigen realisiert werden, die ein als philosophisch anerkanntes Problem traktieren. Die von ihm als Beispiele philosophischer Probleme genannten Fragen ("was die grundlegende Struktur der Wirklichkeit ausmacht, wie sich das menschliche Bewusstsein zur Natur verhält und ob es unbedingte und allgemeingültige Normen gibt") lassen ahnen, dass seine Gruppe der Systematiker ziemlich klein ausfallen wird. Ihre Auswahl scheint außerdem nahezulegen, dass Rosefeldt durchaus einen Sinn für die Autorität der Tradition hat. Schließlich handelt es sich bei seinen paradigmatischen Fragen um solche, die tief verwurzelt sind in der Geschichte der Philosophie.

Doch Rosefeldt will uns vor allem verständlich machen, warum der von ihm zu systematischer Philosophie ernannte Umgang mit diesen Fragen geradewegs auf die Unvermeidlichkeit der analytischen Philosophie führen soll. Dieses Ziel glaubt er durch folgende Überlegung zu erreichen: "Die Wende zur analytischen Philosophie in Deutschland muss deswegen vor allem als Durchsetzung der Einsicht verstanden werden, dass es sich lohnt, sie zu vollziehen. Denn hat man einmal verstanden, was es heißt, selbst zu philosophieren, dann ist klar, dass man das nicht einfach mit den Worten und Methoden von Kant und Hegel tun kann. (...) Man braucht eine eigene Sprache, eine, deren Bedeutung so klar ist, dass sie nicht erst der Interpretation bedarf. Dazu macht die analytische Philosophie das heute in den Augen der meisten systematischen Philosophen überzeugendste Angebot, das zudem für viele Bereiche der Philosophie de facto alternativlos ist." Aha, so ist das also: Die kristallklare Sprache der analytischen Philosophen hat das altdeutsche Kauderwelsch eines Kant und Hegel abgelöst, weil der seine Fragen selbst beantwortende Systematiker sich im reinen Äther interpretationsimmuner Bedeutungen aufhalten muss, will er seinem Handwerk "auf die beste mögliche Weise" nachgehen.

Wer auch immer Rosefeldt diesen Floh ins Ohr gesetzt hat, es muss jemand gewesen sein, der in den letzten zwanzig Jahren keinen einzigen Blick in die in unserem Sprachraum für "analytisch" geltenden Publikationen geworfen hat. Nicht nur begegnet man zu fast allen Themen einen hochspezialisierten Jargon, dessen Esoterik mühelos mit dem Fachvokabular eines Journal of Molecular Endocrinology oder einer anderen medizinischen Subdisziplin mithalten kann, man wird sich auch ganze Jahrgänge von einschlägigen Zeitschriften hindurch selten mehr, häufig weniger gut unterhalten finden durch nicht enden wollende Diskussionen, was denn nun eigentlich zum Beispiel mit Begriffen wie "access consciousness" oder "volition" genau gemeint sein soll. Dass die analytische Philosophie eine Sprache implementiert, deren Klarheit Mehrdeutigkeiten ausschließt und daher nicht der Interpretation bedarf, wird man getrost zu einem der vielen Mythen des philosophischen Alltags zählen können. ..."


Insgesamt kommt Horstmann zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um ein wirkliches "Schisma in der Philosophie" handle, sondern bloß um Übertreibungen (für die er freilich hauptsächlich die Rosefeldt'sche Seite verantwortlich macht). Im Grunde sei alles in bester Ordnung; man muss wohl nur, mag ein spitzzüngiger Leser hinzufügen, die Verwendung der Wörter etwas genauer festlegen.

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Ich finde mich in dieser Sache doppelt angesprochen. Zum einen bin ich ein 'Kontinentaler', wie man es nur wünschen kann, ich mache nicht einmal ein Hehl daraus, dass ich vor allen Dingen einem Vor-Denker ver-pflichtet bin, nämlich Fichte. Zum andern finde ich mich als einen Systematiker wieder, nämlich in einem Wort-sinn, den man auch verstehen kann. Es ist mir das peinliche Glück widerfahren, meine Gedanken zu einem System bilden zu können und, wie mir daher scheint, auch zu sollen; zu einem System mit einem begründeten Ausgangspunkt und einem Fluchtpunkt, der sich rechtfertigen lässt.

Ich wüsste nicht, wer aus der sprachanalytischen Schule in diesem mir allein intelligiblen Sinn systematisch däch-te. Soviel ich weiß – aber dass mein Wissen in dieser Sache unsystematisch und daher ergänzungsfähig ist, räu-me ich freimütig ein – handelt es sich bei deren Bemühungen um mikrologische Wortklaubereien, aus denen nicht einmal ersichtlich wird, wozu sie taugen sollen; geschweige denn, ob sie's tun. Systematisch ist gar nichts daran, das liegt alles kunterbunt nebeneinander wie eine Handvoll Murmeln.

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Notabene. Ich halte keine akademische Stellung, ich muss gegen niemanden kollegial bleiben. Ich kann mir eine Wortwahl erlauben, von der andere nur träumen dürfen. Das hat seinen Preis, ich muss mich mit diesem Blog begnügen. 






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