Donnerstag, 25. Januar 2018

Wie kommt der Geist in die Natur? (Oder kommt er aus der Natur?)


aus  FAZ.NET, 24.01.2018-10:32
  
Rätselhaftes Bewustsein:
Wie kommt der Geist in die Natur?
 
von Hedda Hassel Mørch

... Unser eigenes Bewusstsein umfasst ein vielfältiges Feld von Sinneswahrnehmungen, Emotionen, Wünschen und Gedanken. Aber prinzipiell können bewusste Erfahrungen sehr einfach sein. Ein Tier, das einen unmittelbaren Schmerz oder ein dringendes Bedürfnis spürt, ist sich dessen bewusst, auch wenn es nicht darauf reflektiert. Unser eigenes Bewusstsein ist für gewöhnlich Bewusstsein von etwas, etwa Gewahrsein oder Betrachtung von Dingen in der Welt, von abstrakten Ideen oder dem Selbst. Wer aber einen inkohärenten Traum hat oder wild halluziniert, ist immer noch bewusst, insofern er subjektive Erfahrung hat, auch wenn sie nicht Erfahrung von etwas Speziellem ist.

Warum das Problem hart ist

Woher kommt Bewusstsein in diesem allgemeinen Sinn? Die zeitgenössische Naturwissenschaft gibt uns gute Gründe zu glauben, dass Bewusstsein in der Physik und Chemie unseres Gehirns gründet, statt in etwas Immateriellem oder Transzendentem. Um ein bewusstes System zu schaffen, brauchen wir, so gesehen, nur physische Materie. Man setze sie auf die rechte Weise zusammen, wie das im Gehirn geschieht, und Bewusstsein wird erscheinen. Aber wie und warum kann Bewusstsein herauskommen, wenn man doch nur nicht-bewusste Materie auf eine bestimmte komplexe Weise zusammensetzt?

Das Problem ist tatsächlich schwierig, weil seine Lösung allein durch Experiment und Beobachtung nicht gefunden werden kann. Durch immer ausgetüfteltere Experimente und fortgeschrittene Visualisierungs-Technologie für Neuronen gibt uns die Neurowissenschaft zwar immer bessere Zuordnungen von bewussten Erfahrungen zu bestimmten physischen Hirnzuständen. 

Neurowissenschaftler können uns vielleicht sagen, was allen bewussten Erfahrungen gemeinsam ist. Zum Beispiel nach Giulio Tononis Theorie, dass sie hochstufig integrierte Information besitzen. Oder nach Bernard Baars‘ „Global Workspace“- Theorie, dass sie eine Botschaft im Gehirn senden. Oder entsprechend einem früheren Vorschlag von Francis Crick und Christof Koch, dass sie Schwingungen von 40 Hertz erzeugen. Aber in all diesen Theorien bleibt das harte Problem bestehen: Wie und warum fühlt ein System, das Information integriert, das eine Botschaft sendet oder mit 40 Hertz schwingt, Schmerz oder Freude? Das Erscheinen von Bewusstsein aus rein physischer Komplexität bleibt gleich mysteriös, egal wie diese Komplexität beschaffen ist.

Bessere Empirie hilft hier nicht

Es schiene auch nicht weiterzuhelfen, wenn man alle konkreten biochemischen und letztlich physikalischen Details aufdecken könnte, die dieser Komplexität unterliegen. Egal wie präzise wir die Mechanismen spezifizierten, die beispielsweise der Wahrnehmung oder dem Wiedererkennen von Tomaten unterliegen – wir könnten immer noch fragen: Warum ist dieser Prozess von subjektiver Rot-Erfahrung begleitet? Warum ist er überhaupt erfahrungsartig? Warum kann es nicht ausschließlich den physischen Prozess geben, aber kein Bewusstsein?

Andere natürliche Phänomene, von dunkler Materie bis zum Leben, mögen auch vertrackt sein. Aber sie sind längst nicht so hartnäckig. Wenn wir sie verstehen, sammeln wir mehr physische Details. Wir bauen bessere Teleskope und andere Instrumente, wir konzipieren bessere Experimente oder notieren neue Gesetze und Muster innerhalb der Daten, die wir haben. Wüssten wir um jedes physische Detail und Muster im Universum, sollten diese Probleme verschwinden. Sie würden sich so auflösen, wie sich das Problem der Vererbung auflöste, als man die physischen Details der DNA entdeckt hatte. 

Aber das harte Problem des Bewusstseins bliebe bestehen, auch wenn man jede vorstellbare Art physischer Details kennen würde. So scheint die Tiefennatur des Bewusstseins jenseits wissenschaftlicher Reichweite zu liegen. Dabei kann uns die Physik im Prinzip alles sagen, was wir über das Wesen physikalischer Materie wissen können. Physik sagt uns, dass Materie aus Partikeln und Feldern besteht, die Eigenschaften wie Masse, Ladung und Spin haben. Physik mag noch nicht alle fundamentalen Eigenschaften der Materie entdeckt haben, aber sie kommt dem näher.

Nicht-physikalische Eigenschaften

Dennoch ist es vernünftig, zu glauben, dass mehr an der Materie sein muss, als die Physik sagen kann. Grob gesprochen: Die Physik lehrt uns, was fundamentale Teilchen tun oder wie sie sich zu anderen Dingen verhalten. Aber sie sagt nichts darüber, wie sie in sich selber sind, unabhängig von anderen Dingen. Ladung beispielsweise ist die Eigenschaft, andere Partikel mit derselben Ladung zurückzuweisen und Partikel mit der gegensätzlichen Ladung anzuziehen. Mit anderen Worten: Ladung ist eine Weise, sich auf andere Partikel zu beziehen. Ähnlich ist Masse die Eigenschaft, auf angewandte Kräfte zu reagieren und andere Massepartikel über die Gravitation anzuziehen, was wieder als gekrümmter Raum oder als Interaktion mit dem Higgs-Feld beschrieben werden kann. Auch das sind also Tätigkeiten der Partikel oder ein In-Verbindung-Setzen mit anderen Partikeln oder der Raumzeit.

Es scheint überhaupt so zu sein, dass alle fundamentalen physischen Eigenschaften mathematisch beschrieben werden können. Nach Galilei, dem Vater der modernen Naturwissenschaft, ist das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben. Doch Mathematik ist eine Sprache mit bestimmten Grenzen. Sie kann nur abstrakte Strukturen und Relationen beschreiben. Von Zahlen können wir zum Beispiel nur wissen, wie sie sich zu anderen Zahlen und mathematischen Objekten verhalten, indem sie Gesetzen wie der Addition, Multiplikation und so weiter folgen. Ähnlich wissen wir von einem geometrischen Objekt wie einem Knoten in einem Graphen nur seine Relationen zu anderen Knoten. Ebenso kann uns eine rein mathematische Physik nur über Relationen zwischen physikalischen Entitäten und deren Gesetzen sprechen.

Auch Materie hat ein hartes Problem

Man kann sich fragen, wie physikalische Partikel unabhängig sind von dem, was sie tun, oder sich auf andere Dinge beziehen. Wie sind physikalischen Dinge in sich selbst, wie sind sie intrinsisch? Manche sagen, dass an Partikeln nicht mehr dran ist als ihre Relationen. Aber die Intuition widerspricht dem. Denn damit es eine Relation gibt, müssen zwei Dinge miteinander in Relation stehen. Sonst ist die Relation leer – wie eine Aufführung ohne Schauspieler oder ein aus dünner Luft konstruiertes Schloss. Die physikalische Struktur muss durch irgendeinen Stoff oder eine Substanz realisiert oder implementiert sein. Andernfalls gibt es keinen klaren Unterschied zwischen physikalischer und rein mathematischer Struktur, zwischen einem konkreten Universum und einer reinen Abstraktion. Was könnte dieser Stoff sein, der die physikalische Struktur realisiert? Was sind die intrinsischen, nicht strukturalen Eigenschaften, die ihn charakterisieren? Dieses Problem ist ein Nachkomme von Kants klassischem Problem, ob man das Ding an sich kennen könne. Der Philosoph Galen Strawson nannte es das harte Problem der Materie.

Das hat eine gewisse Ironie, denn für gewöhnlich denken wir, dass die Physik die Hardware des Universums beschreibt, also den wirklichen konkreten Stoff. Tatsächlich aber ist die physikalische Materie (zumindest insofern sie von der Physik beschrieben wird) eher wie Software: eine logische und mathematische Struktur. Das harte Problem der Materie besagt, dass diese Software eine Hardware benötigt, wohinein sie implementiert wird. Physiker haben auf brillante Weise die Algorithmen (oder den Quellcode) des Universums rekonstruiert – seine konkrete Implementierung haben sie ausgelassen.

Bereits bei Newton wäre nicht alles geklärt

Das harte Problem der Materie unterscheidet sich von anderen Problemen in der Interpretation der Physik. Die zeitgenössische Physik präsentiert Rätsel: Wie kann Materie sowohl teilchen- als auch wellenartig sein? Was ist der Kollaps der Wellenfunktion? Was ist fundamentaler – kontinuierliche Felder oder diskrete Individuen? Dies alles sind Fragen, die darauf zielen, wie man die Struktur der Realität angemessen verstehen kann. Das harte Problem der Materie bestünde selbst dann weiter, wenn alle diese Fragen nach der Struktur geklärt wären. Unabhängig davon, über welche Struktur wir reden, sei es die bizarrste und ungewöhnlichste oder eine vollständig intuitive – die Frage nach der Implementierung dieser Struktur wird bleiben.

Das Problem besteht sogar für die Newtonsche Physik, die die Struktur der Realität in einer sehr intuitiv eingängigen Weise beschreibt. Die Newtonsche Physik besagt, grob gesprochen, dass Materie aus festen Teilchen besteht, die durch gegenseitiges Abstoßen oder Anziehen miteinander interagieren. Was aber ist die intrinsische Natur des Stoffes, der sich auf diese einfache und intuitive Weise verhält? Welche Hardware implementiert die Software der Newtonschen Gleichungen? Man könnte meinen, die Antwort wäre einfach: Sie sei durch Festigkeit der Teilchen implementiert. Aber Festigkeit ist genau das Verhalten, das nötig ist, um das Eindringen und die räumliche Überlappung durch andere Teilchen zu verhindern – also auch dies eine reine Relation zu anderen Teilchen und zum Raum. Das harte Problem der Materie entsteht für jede strukturelle Beschreibung der Realität, mag sie noch so klar und intuitiv sein. Das harte Problem der Materie kann ebenso wenig wie das harte Problem des Bewusstseins durch Beobachtung oder Sammlung physikalischer Details gelöst werden. Auf diese Weise kann nur noch mehr Struktur ans Tageslicht kommen, zumindest solange Physik eine Disziplin bleibt, die die Wirklichkeit in mathematischen Begriffen fasst.

Struktur ist nicht alles

Könnten das harte Problem des Bewusstseins und das harte Problem der Materie am Ende miteinander verbunden sein? Innerhalb der Physik gibt es bereits eine Tradition, die Probleme dieses Faches mit denen des Bewusstseins zu verbinden, insbesondere in den Quantentheorien des Bewusstseins. Man kann daran kritisieren, dass es ein Fehlschluss wäre, wenn man annehmen würde, dass die mysteriöse Quantenphysik und das mysteriöse Bewusstsein zusammen weniger mysteriös seien. Doch ein näherer Blick zeigt, dass die beiden Probleme tatsächlich auf eine tiefere und bestimmtere Weise komplementär sind. Einer der ersten Philosophen, die diese Verbindung bemerkt hatten, war Leibniz im späten 17. Jahrhundert; die präzise moderne Version dieser Idee verdanken wir dann Bertrand Russell. Jüngst haben sie zeitgenössische Philosophen wie David Chalmers und Galen Strawson wiederentdeckt.


Sie lautet folgendermaßen: Das harte Problem der Materie erfordert nicht-strukturelle Eigenschaften, und Bewusstsein ist der einzige bekannte Kandidat für ebensolche. Bewusstsein ist voll von qualitativen Eigenschaften, wie zum Beispiel der Rotheit von Rot, dem Unbehagen am Hunger oder der Phänomenologie des Denkens. Solche Erfahrungen oder „Qualia“ können interne Struktur haben, aber an ihnen ist mehr als diese Struktur. Wir wissen etwas darüber, wie bewusste Erfahrungen in und an sich selber sind, und nicht nur, wie sie funktionieren und sich zu anderen Eigenschaften verhalten.

Nicht-relationales Wissen

Man stelle sich beispielsweise jemand vor, der noch nie rote Gegenstände gesehen hat und nie davon erzählt bekam, dass es die Farbe Rot überhaupt gibt. Diese Person weiß nichts darüber, wie sich Rotheit zu Gehirnzuständen verhält oder zu physikalischen Objekten wie Tomaten oder zu den Wellenlängen des Lichts. Sie weiß auch nicht, wie sich Rotheit zu anderen Farben verhält, dass es beispielsweise Orange ähnelt und vollkommen verschieden von Grün ist. Eines Tages halluziniert diese Person spontan einen großen roten Fleck. Es scheint, dass die Person dabei lernt, wie sich Rotheit anfühlt, auch wenn sie seine Relationen zu anderen Dingen nicht kennt. Das Wissen, das sie erwirbt, ist nicht-relationales Wissen.

Dies legt nahe, dass Bewusstsein – in einer primitiven und rudimentären Form – die Hardware ist, auf der die Software, die von der Physik beschrieben wird, läuft. Man kann sich die physikalische Welt als eine Struktur bewusster Erfahrungen vorstellen. Unsere eigenen reich strukturierten Erfahrungen implementieren die physikalischen Relationen, die unsere Gehirne ausmachen. Einfache elementare Formen von Erfahrungen implementieren die Relationen, die fundamentale Teilchen ausmachen. Man nehme beispielsweise ein Elektron. Ein Elektron zieht andere Entitäten an, stößt sie ab und bezieht sich auf andere Weisen auf sie, entsprechend fundamentaler physikalischer Gleichungen. Wodurch wird dieses Verhalten ausgelöst? Es könnte ein Strom winziger Elektron-Erfahrungen dahinterstecken. Elektronen und andere physikalische Teilchen kann man sich demnach als mentale Wesen mit physikalischen Kräften vorstellen; als Erfahrungsströme in physikalischen Relationen mit anderen Erfahrungsströmen.

Die Physik ist die Software

Dies klingt seltsam, beinahe mystisch, aber es entstammt einer sorgfältigen Gedankenführung über die Grenzen der Naturwissenschaft. Leibniz und Russell folgten dezidiert der naturwissenschaftlichen Rationalität – was klar aus ihren Beiträgen zur Physik, Logik und Mathematik hervorgeht – und gingen gleichermaßen davon aus, dass das Bewusstsein wirklich und einzigartig ist. Um beiden Phänomenen ihr Recht zu geben, forderten sie einen radikalen Wandel des Denkens.

Und es ist wirklich ein radikaler Wandel. Philosophen und Neurowissenschaftler nehmen häufig an, dass Bewusstsein wie Software ist, währenddessen das Gehirn der Hardware gleicht. Unser Vorschlag stellt diese Vorstellung auf den Kopf. Physik gibt uns nur Software – nur eine Menge von Relationen – bis hinab auf die unterste Ebene. Bewusstsein ist mehr als das, wegen seiner eindeutig qualitativen, nicht-strukturellen Eigenschaften.

Mit dieser Lösung des harten Problems der Materie verschwindet das harte Problem des Bewusstseins beinahe vollständig. Man braucht sich nicht mehr zu fragen, wie Bewusstsein aus nicht-bewusster Materie entsteht. Denn alles Materielle ist bereits bewusst. Man muss sich nicht weiter fragen, wie Bewusstsein von der Materie abhängt. Denn Materie hängt vom Bewusstsein ab – so wie Relationen von ihren Relata abhängen. Oder Strukturen von ihren Realisatoren. Oder Software von Hardware.

Man könnte dagegenhalten, dies alles sei ein Anthropomorphismus, eine nicht gerechtfertigte Projektion menschlicher Qualitäten auf die Natur. Warum denken wir denn, dass physikalische Struktur einen intrinsischen Realisierer braucht? Doch wohl deshalb, weil unsere Gehirne intrinsische, bewusste Eigenschaften haben und wir die Natur in ähnlichen Begriffen verstehen wollen? Aber dieser Vorwurf sticht nicht. Die Idee, dass man intrinsische Eigenschaften braucht, um wirkliche und konkrete von rein abstrakten Strukturen zu unterscheiden, ist vollständig unabhängig vom Bewusstsein. Dem Argument des Anthropomorphismus kann man mit dem Gegenargument der menschlichen Ausnahmestellung begegnen. Wäre das Gehirn tatsächlich rein materiell, warum sollte es bezüglich seiner intrinsischen Eigenschaften so verschieden vom Rest der Materie sein?

Zwei-Aspekte-Monismus

Diese Ansicht, dass Bewusstsein den intrinsischen Aspekt der physischen Realität konstituiert, läuft unter verschiedenen Namen. Einer der präzisesten ist „Zwei-Aspekte-Monismus“. Monismus im Kontrast zu Dualismus, wo Bewusstsein und Materie zwei fundamental verschiedene Substanzen oder Arten von Stoff sind. Dualismus gilt weithin als unwissenschaftlich, weil die Naturwissenschaften keine Belege geben für nicht-physische Kräfte, die das Gehirn beeinflussen.

Im Monismus ist die ganze Realität aus einer Art Stoff gemacht. Davon gibt es einige Varianten. Der am weitesten verbreitete Monismus ist der Physikalismus (oder Materialismus), also die Ansicht, dass alles aus einem physischen Stoff gemacht ist, der nur den einen Aspekt hat, den die Physik offenlegt. Die meisten Philosophen und Naturwissenschaftler sind heute dieser Meinung. Entsprechend dieser Theorie lässt eine rein physikalische Beschreibung der Realität nichts aus. Nach dem harten Problem des Bewusstseins freilich lässt jede rein physikalische Beschreibung eines bewussten Systems wie des Gehirns zumindest etwas aus: Sie kann nie vollständig fassen, wie es sich anfühlt, dieses System zu sein. Das heißt, sie fasst die objektiven, aber nicht die subjektiven Aspekte von Bewusstsein, die Gehirnfunktionen, aber nicht unser inneres mentales Leben.

Das Ding an sich sind wir selbst

Um beiden Phänomenen ihr Recht zu geben, muss man vollständig umdenken. Russells Zwei-Aspekte-Monismus versucht diesen Mangel zu beheben. Er akzeptiert, dass das Gehirn ein materielles System ist, das sich entsprechend den Gesetzen der Physik bewegt. Aber er fügt einen weiteren, intrinsischen Aspekt zur Materie hinzu, der von der extrinsischen Warte der dritten Person, wie ihn die Physik hat, verborgen bleibt und nicht durch eine rein physikalische Beschreibung gefasst werden kann. Doch obwohl sich dieser intrinsische Aspekt unseren physikalischen Theorien entzieht, entzieht er sich nicht unserem inneren Beobachten. Unser eigenes Bewusstsein konstituiert die intrinsischen Aspekte des Gehirns, und dies ist der Schlüssel zum intrinsischen Aspekt anderer physikalischer Dinge. In diesem Zusammenhang lässt sich Arthur Schopenhauers prägnante Antwort auf Kant paraphrasieren: Wir können vom Ding-in-sich-selber ebendeshalb wissen, weil wir es selber sind.

Man kann einen moderaten oder radikalen Zwei-Aspekte-Monismus vertreten. Für moderate Versionen besteht der intrinsische Aspekt der Materie in sogenannten proto-bewussten oder „neutralen“ Eigenschaften: Eigenschaften, die die Naturwissenschaften nicht kennen, die sich aber von Bewusstsein unterscheiden. Die Natur solcher weder mentalen noch physischen Eigenschaften scheint sehr geheimnisvoll zu sein. Wie die schon erwähnte Quanten-Bewusstseins-Theorie kann dem moderaten Zwei-Aspekte-Monismus vorgeworfen werden, er addiere nur ein Geheimnis zum anderen und erwarte, dass sich die beiden Geheimnisse gegenseitig auslöschen.

Bewusste Elementarteilchen?

Für die radikalere Version eines Zwei-Aspekte-Monismus besteht der intrinsische Aspekt der Realität im Bewusstsein. Diese Position unterscheidet sich klar vom subjektiven Idealismus, dem zufolge die physikalische Welt nur eine Struktur im menschlichen Bewusstsein ist und eine äußere Welt in gewissem Sinne eine Illusion. Für den Zwei-Aspekte-Monismus existiert die externe Welt vollständig unabhängig vom menschlichen Bewusstsein. Freilich würde sie nicht unabhängig von jeder Art von Bewusstsein existieren, weil alle physikalischen Dinge mit gewissen Formen von Bewusstsein ihrer selbst assoziiert sind, als ihre intrinsischen Realisierer, als ihre Hardware.

Gegen den Zwei-Aspekte-Monismus als Lösung des harten Problems des Bewusstseins sprechen einige Einwände. Am häufigsten wird behauptet, dass er auf Panpsychismus hinauslaufe: die Ansicht, dass alle Dinge mit einer Form von Bewusstsein assoziiert sind. Für die Kritiker ist es einfach zu wenig plausibel, dass fundamentale Partikel bewusst sein sollen. Und in der Tat muss man sich an eine solche Theorie erst gewöhnen. Man überdenke freilich, was als Alternative bleibt. Ausgehend von der Wissenschaft, ist ein Dualismus nicht plausibel. Physikalismus hat die Zielrichtung, dass der wissenschaftlich zugängliche Aspekt der Wirklichkeit die einzige Wirklichkeit ist. Daraus folgt geradewegs, dass der subjektive Aspekt des Bewusstseins eine Illusion ist. Dem mag so sein – aber sollten wir nicht eher davon ausgehen, dass wir im vollen subjektiven Sinne bewusst sind, als dass Teilchen es nicht sind?

Die Alternative wäre noch rätselhafter

Ein zweiter Vorwurf ist das sogenannte Kombinationsproblem. Wie und warum entsteht die komplexe Einheit des Bewusstseins in unseren Gehirnen aus der Zusammenstellung von Teilchen mit einfachem Bewusstsein? Diese Frage kommt dem ursprünglich harten Problem verdächtig nahe. Ich und andere Verteidiger des Panpsychismus haben argumentiert, dass das Kombinationsproblem dennoch weniger hart ist als das ursprüngliche harte Problem. Es ist auf eine gewisse Weise einfacher, zu einer bewussten Materie (einem bewussten Gehirn) von einer anderen bewussten Materie (wie einer Menge bewusster Partikel) aus zu gelangen, als bewusste Materie von nicht-bewusster herzuleiten. Viele überzeugt das zwar noch nicht. Doch das mag nur eine Frage der Zeit sein. Am ursprünglichen harten Problem haben die Philosophen in der einen oder anderen Form über Jahrhunderte hinweg gegrübelt. Das Kombinationsproblem hat viel weniger Aufmerksamkeit bekommen. Das gibt mehr berechtigte Hoffnung auf eine bislang unentdeckte Lösung.

Die Möglichkeit, dass Bewusstsein der wirklich konkrete Stoff der Realität ist, also die fundamentale Hardware, die die Software unserer physikalischen Theorien implementiert, ist und bleibt eine radikale Idee. Sie stellt unser gewohntes Bild auf den Kopf, so dass man sie vielleicht schwer fassen kann. Doch es mag sein, dass man so die härtesten Probleme der Naturwissenschaft und der Philosophie auf einen Schlag löst.

Aus dem Englischen von Matthias Rugel

Die norwegische Philosophin Hedda Hassel Mørch arbeitet an der Universität Oslo und zurzeit am Center for Mind, Brain and Consciousness der New York University und ist regelmäßige Gastforscherin am Center for Sleep and Consciousness der University of Wisconsin-Madison. Der Text ist erstmals im April 2017 in der Zeitschrift „Nautilus“ erschienen.


Nota. - Wir wissen nur das, was in unserm Bewusstsein vorkommt. In unserm Bewusstsein kommen nur Vorstellungen vor; keine Dinge, sondern Vorstellungen von Dingen. Wir begreifen an den Dingen nicht ihre Erscheinung, sondern den Begriff, den wir uns von ihnen machen. Begriffe sind Vorstellungen. Wir stellen uns unsere Vorstellung vor. Ob es ein Drittes gibt, das Erscheinung und Begriff gemeinsam ist und sie vereinigt, ist wiederum ein Sache des... Vorstellens. Das wäre aber kein Drittes und Gemeinsames, sondern das Zweite, sobald jenes auf sich selbst reflektiert - und auf das Erste, auf das es ipso facto ebenso reflektiert, weil es sich anders gar nicht von sich unterscheiden könnte; und die beide nur 'sind', sofern es reflektiert.

Materie ist eine Vorstellung ebenso wie Geist, ihr Sein besteht darin, dass sie dem Geist entgegen-steht; darin, dass sie Gegenstand ist. Und das ist sie nicht intrinsisch, sonderen relationell, nämlich indem ein erkennen-Wollendes auf sie trifft.

Trifft - wie denn das? Hedda Hassel Mørch sagt es ja selbst: durch das Gefühl, sensus, physiologischer Reiz. Der Reiz kommt nicht vor in dem, was getroffen wird, sondern in dem, was trifft. Nämlich als Gefühl, das als solches keine andere Relation hat als mit dem, was das Treffende zuvor schon 'gefühlt' hat: lauter Qualia in einem lebenden Organismus, die ein System bilden, indem der lebende Organismus selber ein System ist. Was es als 'Struktur' des Angetroffenen, Vorgefunden vorstellt, ist der Widerschein dessen, was im organi- schen  System geschieht. Das ist das einzig Intrinsische, das es in der Welt gibt. Es ist die Hardware alles Wirklichen.

Das sei eine ganz ausgefallene Philosophie? Ja, das ist es, das war es, seit es sie gibt, sie heißt Transzenden- talphilosophie. Sie wurde von Kant lediglich begründet und beinahe vollendet von Fichte. Frau Mørch führt uns bis an ihre Schwelle.

PS. Schopenhauer hatte bei Fichte studiert. Bei ihm ist allerdings nicht der Mensch das Ding-an-sich, sondern der Wille; das wiederum hatte er - freilich in ganz anderm Sinn - bei Fichte gehört.
JE


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