Sonntag, 24. Dezember 2017

Ist philosophieren Kunst?


Apoll, Neapel
aus Die Presse, Wien,

Die Philosophie gibt die Distanz zur Kunst auf
Verarmen die Ausdrucksformen der Philosophie, weil diese der naturwissenschaftlichen Tradition Platons zu sehr verhaftet ist? In einem Forschungsprojekt wurden Formate ausprobiert, die den Künsten wieder Raum lassen.

  

Kant liegt nach der Lektüre von Nietzsches „Zarathustra“ auf der Couch von Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé. Er sinniert über den berüchtigten Philosophenkollegen, der sein Weltbild erschüttert hat. Das ist eine von 43 unzeitgemäßen Performances des Forschungsfestivals Philosophy on Stage, die im November 2015 im Tanzquartier gezeigt wurden. Die Darstellung war ein Ergebnis, das internationale Wissenschaftler und Künstler im vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt „Künstlerphilosoph?innen. Philosophie als künstlerische Forschung“ gemeinsam erarbeiteten. 

Ziel des nun mit Oktober beendeten Projekts war, eine neue Form der künstlerischen Forschungspraxis zu entwickeln. Für diese gibt die Philosophie den Anspruch auf, „reine“ Wissenschaft zu sein. „Bereits drei Wochen vor dem Festival waren alle Tickets ausverkauft. Die positiven Rückmeldungen haben uns überwältigt“, sagt Projektleiter Arno Böhler vom Institut für Philosophie der Uni Wien. 


Er wertet das Resultat als einen Erfolg gegen große Widerstände. Denn Böhler will mit seiner Forschung ein neues „Bild des Denkens“ entwickeln, quasi eine neue „Selbstinterpretation des Denkens“ (Deleuze), die Leib und Affektivität inkludiert. Damit stellt er die konventionelle geisteswissenschaftliche Trennung von Gefühlen und Rationalität, Körper und Geist radikal infrage. „Das Denken ändert sich, wenn sich materielle Bedingungen ändern. Also Räumlichkeiten, Stühle, Licht, Darstellung. Philosophen haben selten Expertise auf diesem Gebiet. Wer also hat sie, wenn nicht die Künstler?“, fragt er.

„Frontalunterricht ist falsch“
 
Die Art, wie Philosophie an Universitäten gelehrt und in Konferenzräumen präsentiert wird, hält Böhler für falsch: „Die Vorträge werden oft im Frontalunterricht gelesen. Das kann gar nicht begeistern.“ In der Geschichte der Geisteswissenschaften sei die heutige akademische Philosophie eine Ausnahmeerscheinung: „Diese wurde allerdings globalisiert und hat sich damit an den Universitäten durchgesetzt.“ Die Bedenken gegen die geisteswissenschaftliche Lehre und der bestehende Mangel an philosophischen Ausdrucksformen treiben ihn dazu, die gewohnten Bahnen der universitären Philosophie zu verlassen.

Denn diese hat ihren historischen Ursprung in Platon. Ursprünglich kunstaffin wird Platon nach der Begegnung mit dem Philosophen Sokrates zu einem der erbittertsten Kunstkritiker. Philosophie hat seitdem vor allem naturwissenschaftlichen Maßstäben zu folgen. Von nun an muss man wählen: Entweder ist man Künstler oder Philosoph. „Sobald Philosophie mit künstlerischer Praxis in Verbindung gebracht wird, wird sie denunziert, nicht seriös zu sein. Ein Philosoph sollte, will er als seriös gelten, die nötige Distanz zur Kunst wahren“, so Böhler. „Aber führt nicht gerade diese kategorische Ablehnung anderer Ausdrucksformen zu einer Verarmung der Philosophie?“ Böhler sieht das sokratisch-platonische „Bild des Denkens“ als Defizit unserer Kulturgeschichte – und will dieses mit seinem Projekt dekonstruieren.

Ein ehrgeiziges Unterfangen, das sich 2014 das Ziel gesetzt hat, „einen temporären Lebensraum zu schaffen, der nicht von Ökonomie und Juristerei dominiert ist, sondern von den Künsten und der Philosophie“. Dazu arbeitete Böhler mit der am Max-Reinhardt-Seminar und an der Musikuniversität Wien tätigen Professorin für Rollengestaltung Susanne Valerie Granzer zusammen. Einst habe sie der Mangel an Tiefgang im Schauspielbetrieb zur Philosophie getrieben. Jetzt ist sie eine der treibenden Kräfte hinter Böhlers Forschungsprojekt, das nun nach dreijähriger Laufzeit ausgelaufen ist.

„Was sollen wir nach dem großen Erfolg machen? Als Nächstes die Stadthalle füllen?“, fragen Böhler und Granzer. Um ein unerwartetes Resümee zu ziehen: „Wir wollen wieder kleiner werden!“

v. Honthorst, König David spielt

Nota. - Das ist reklamige Anbiederei. Wenn man eingangs keine Grenzen zieht, wird man hinterher keine finden. Dass Arno Böhler eingangs keine Definition gab, was er unter Kunst verstehen will, darf man ihm nachsehen, denn Begriffe sind nicht das Medium, in dem sie wirkt. Aber mit der Philosophie ist es was anderes. Die wollte Wissenschaft sein, und zwar als erste Disziplin des Denkens überhaupt; und schon zu einer Zeit, da es die Kunst als einen selbständigen Lebensbereich noch gar nicht gab.

Wissensschaft sei Kunst, sagte der ungarische Musiker Sándor Végh, aber Kunst sei keine Wissenschaft. Wir haben also ein Problem. 

Mit den Begriffen fangen wir besser nicht an. Die beruhen auf Prämissen, doch um die scheint es gerade zu gehen. Aber Kunst und Wisssenschaft und Philosophie sind zweifellos historische Gegebenheiten, und als solche müssen sie sich umschreiben lassen. Wissenschaft und Philosophie in specie und Kunst in specie haben sich im Westen ausgebildet. Hier haben sie sich als konkurrierende gesellschaftliche Instanzen eta- bliert, miteinander und gegeneinander.

Beschreibend lässt sich sagen: Was immer heute unter Kunst verstanden wird, hat mit Gestaltung nach ästhetischen Gesichtspunkten zu tun. Mehr oder weniger: Daneben mochten magische und kultische Zwecke eine Rolle spielen und die Verherrlichung der Macht, der ästhetische Anteil konnte auf bloße Verzierung schrumpfen. Was immer produziert wird - eine Form wird es haben, ob darauf abgesehen wurde oder nicht. 

Es ist dem Verständnis dienlich, die Entwicklung der Kunst - bemerkenswert wieder, dass es eine eigene Entwicklungsgeschichte der Kunst nur im Westen gibt - zu beschreiben als den Prozess der Herauslösung der ästhetischen Absicht aus ihrer Verstrickung mit anderen, sozusagen profanen Motiven. In der Entbin- dung des rein-Ästhetischen hätte die Kunst ihre Bestimmung erreicht und nichts in ihr weist noch über sie hinaus.


Was immer die Wissenschaftler in ihrem ahnenden Suchen und Probieren mit der Praxis der Künstler ge- mein haben mögen: Der Prüfstein für ihre Ergebnisse ist stets, ob sie dem Erkenntnisinteresse dienen. Sie haben einen Zweck, der über sie hinausreicht - die Ermächtigung des Menschen. Technische Verwertbarkeit natürlich. Aber auch die an sich selber zweckfreie Grundlagenforschung erweitert mit dem Blick auf die Welt seine Freiheit in der Wahl seiner Lebenszwecke. Während die Kunst im besten Fall Fragen an das Le- ben stellen kann, schafft Wissenschaft - und insbesondere die Philosophie als ihr Inbegriff - Anhaltspunk- te für Antworten.

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Ein ganz anderes Thema ist, mit welchen Mitteln sie ihr Verfahren und ihre Ergebnisse darstellt. Nämlich ob ihr bevozugtes Medium der Begriff sei oder das Bild. Für die Kunst beantwortet sich die Frage von selbst. Sie besteht in Bildern, und wo sie zusätzlich Begriffe bemüht, stellt sie die Kunst in den Dienst profaner Zwecke.

Ich glaube, meine Stellung zur Philosophie dadurch zusammengefasst zu haben, indem ich sagte: Philoso- phie dürfe man eigentlich nur dichten, heißt es in Wittgensteins Vermischten Bemerkungen. Er meinte frei- lich, die Philosophie fange dort erst an, wo sein Tractatus endete; nämlich nachdem logisch-philosophisch festgestellt wurde, 'was der Fall ist'. "Meine Art des Philosophierens ist im Wesentlichen der Übergang von der Frage nach der Wahrheit zur Frage nach dem Sinn", steht am selben Ort.*


Recht besehen, kommt die Frage nach dem Sinn jedoch vor der Frage nach der Wahrheit. Nicht historisch, aber genetisch, denn durch sie ward die Frage nach dem Wahren erst aufgeworfen. Historisch war zuerst der Mythos da, als Einheit von Sinn und Wahrheit. Als der Mythos mit seinen unberechenbaren Göttern das Leben in den griechischen Poleis nicht mehr regulieren konnte, kam die Suche nach dem Wahren auf. Und zwar durch den Augenschein, dass der Mensch ein Teil des Kosmos ist und das, was für den Kosmos gilt, auch für die Menschen darin zu gelten hat - der Götter unerachtet.

Dieser Gedanke fand seinen höchsten Ausdruck in den metaphysischen Systemen des siebzehnten und acht- zehnten Jahrhunderts. Seit Galileo, Descartes, Spinoza, Newton und Leibniz war Mathematik das Gesetz der Welt und Urtyp der Vernunft. Diesen Systemen verdanken wir die Emergenz der Wissenschaft als Paradigma des Wissens und als Wegweiser des Lebens. Die Frage nach der Wahrheit und die Frage nach dem Sinn fielen zusammen, denn sie fanden dieselbe Antwort.

Doch dann kam die Kritik, und die ist es, wodurch Philosophie wissenschaftlich wurde. Was ihrer Prüfung nicht standhält, wird verworfen.


Wahrheit ist überhaupt nur eine Fiktion um des Sinnes willen. Um nämlich den Sinn nicht bei sich selbst, sondern in der Welt lokalisieren zu können: "an sich". Doch dies ist das Ergebnis der Kritik: Wahr ist etwas nur in Hinblick auf einen Zweck, der unbedingt gilt, der selber kein Maß außer sich hat, aus dem nichts über ihn hinweg weist. Und er hat keine Merkmale, durch die er mit Anderem vergleichbar wäre. Durch ihn wird Anderes vergleichbar. Er ist wie das Ästhetische; er ist das Ästhetische. 

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Befremdlich bleibt die gewissermaßen technische Verwandtschaft von Wissenschaft und Kunst. Sie sind beide nicht Konstruktion aus vorfindlichen Elementen, sondern Entwurf ins Blaue. Ja, auch die Wissen- schaft! Aus der Erfahrung selbst folgt gar nichts. Sie kann lediglich eine Vermutung bestätigen oder wider- legen. Die Vermutung muss der Forscher schon selber haben. Allerdings muss eine so gewonnene Erkenntnis den Blick auf weitere Erkenntnisse öffnen: über sich hinausweisen; sonst ist sie wissenschaftlich überflüssig. Aber das ist bei der Kunst anders. Sie rechtfertigt sich durch bloße Anschauung, oder eben nicht. Dass es über sich hinausweist, macht ein Kunstwerk eher lächerlich - und macht es zu Kitsch.

Übrig bleibt die Frage nach Begriffen und Bildern. Historisch betrachtet, kann man sich's leicht machen: All unsere Begriffe waren selber irgendwann mal Bilder, sie machten sich durch häufigen Gebrauch selbstver- ständlich und sahen aus, als ob es sie schon immer gegeben habe. Gar, als ob sie das wahre Geheimnis hinter den (lediglich erscheinenden) Bildern wären. Und hier kippt das Verhältnis auf einmal um. Nämlich braucht die Philosophie, um - als Kritik - Wissenschaft zu werden, nichts so dringlich wie den kristallklaren Begriff. 


Aber woher sollte sie ihn bekommen? Das Universum der überkommenen Begriffe wollte sie doch gerade überprüfen; da musste sie wohl kritisch hinter sie zurückgreifen! Was aber liegt den Begriffen, durch die wir uns im alltäglichen Verkehr verständigen, zu Grunde? Es sind die Vorstellungen eines jeden Einzelnen, denen sie mehr oder weniger entsprechen. Ob mehr, ob weniger, das ist eine Frage des Gebrauchs; "die Bedeutung der Wörter ist ihre Verwendung im Sprachspiel". Aber worum kreist die Verwendung? Um das, was gemeint ist, und das sind Vorstellungen. 

Die jeweilige Verwendung der Begriffe betrifft ihre Genauigkeit. Genau sind Vorstellungen nie, denn sie 'zeigen sich' als Bilder, und die bedürfen der Deutung. Aber man darf sie nach ihrer Berechtigung fragen: nach den Vorstellungen, auf denen sie... nein, nicht beruhen, sondern aufbauen. So dass gerade in dem Abschnitt der Philosophie, wo allein sie wissenschaftlich ist, sich die Begriffe vor den Bildern rechtfertigen müssen.

*) L. W., Vermischte Bemerkungen, Ffm. 1994, SS. 21, 58.
JE  

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