Dienstag, 5. Januar 2016

Dialektik als Katharktikon.



II. Haupteinteilungen der Logik

Die Logik wird eingeteilt

1) in die Analytik und in die Dialektik.

Die Analytik entdeckt durch Zergliederung alle Handlungen der Vernunft, die wir beim Denken überhaupt ausüben. Sie ist also eine Analytik der Verstandes- und Vernunftform, und heißt auch mit Recht die Logik der Wahrheit, weil sie die notwendigen Regeln aller (formalen) Wahrheit enthält, ohne welche unser Er-kenntnis, unangesehen der Objekte, auch in sich selbst unwahr ist. Sie ist also auch weiter nichts als ein Kanon zur Dijudikation (der formalen Richtigkeit unsers Erkenntnisses).

Wollte man diese bloß theoretische und allgemeine Doktrin zu einer praktischen Kunst, d. i. zu einem Or-ganon brauchen: so würde sie Dialektik werden. Eine Logik des Scheins (ars sophistica, disputatoria), die aus einem bloßen Mißbrauche der Analytik entspringt, so fern nach der bloßen logischen Form der Schein einer wahren Erkenntnis, deren Merkmale doch von der Übereinstimmung mit den Objekten, also vom In-halte hergenommen sein müssen, erkünstelt wird.

In den vorigen Zeiten wurde die Dialektik mit großem Fleiße studiert. Diese Kunst trug falsche Grundsätze unter dem Scheine der Wahrheit vor, und suchte, diesen gemäß, Dinge dem Scheine nach zu behaupten. Bei den Griechen waren die Dialektiker die Sachwalter und Redner, welche das Volk leiten konnten, wohin sie wollten, weil sich das Volk durch den Schein hintergehen läßt. Dialektik war also damals die Kunst des Scheins. In der Logik wurde sie auch eine Zeitlang unter dem Namen der Disputierkunst vorgetragen, und so lange war alle Logik und Philosophie die Kultur gewisser geschwätziger Köpfe, jeden Schein zu erkün-steln. Nichts aber kann eines Philosophen unwürdiger sein, als die Kultur einer solchen Kunst. Sie muß daher in dieser Bedeutung gänzlich wegfallen und statt derselben vielmehr eine Kritik dieses Scheines in die Logik eingeführt werden.

Wir würden demnach zwei Teile der Logik haben: die Analytik, welche die formalen Kriterien der Wahr-heit vortrüge; und die Dialektik, welche die Merkmale und Regeln enthielte, wonach wir erkennen könnten, daß etwas mit den formalen Kriterien der Wahrheit nicht übereinstimmt, ob es gleich mit demselben über-einzustimmen scheint. Die Dialektik in dieser Bedeutung würde also ihren guten Nutzen haben als Kath-arktikon des Verstandes.
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Kant, Logik, Ein Handbuch zu Vorlesungen, Königsberg 1800





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