Montag, 10. November 2014

Was hat Sittlichkeit mit Vernunft zu schaffen?


 Leonardo, Hieronymus in der Wildnis

Wenn aber Vernunft nicht die Mutter der Sittlichkeit und Sittlichkeit nicht Mutter der Vernunft ist - sind sie dann Geschwistere? Verschwägert? Oder nur gute Bekannte? Irgendein privilegiertes Verhältnis scheinen sie jedenfalls zu haben.

Der Eremit in seiner Wildnis braucht für seine Sittlichkeit keine Vernunft. Ein bissel Verstand reicht aus für seine täglich unvermeidlichen Verrichtungen.

Der Zyniker in der Welt braucht für seine Schachzüge auch keine Vernunft, Verstand reicht auch ihm, aber nicht nur ein bisschen.

Vernunft braucht, wer in einer Welt mit den vielen andern sittlich leben will, denn sich sieht er nie ohne sie und sie nicht ohne sich. Vernunft ist die faktische Bedingung eines freien Ichs in der Welt der Vielen.


Bedenke nämlich: Sittlich ist die Entschlossenheit, in jedem Zweifelsfall dem Urteil meines Gewissens zu folgen. In Versuchung gerät mein Gewissen aber nur in der Welt, in der ich mit andern bin.



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