Sonntag, 15. März 2015

Die Einbildungskraft bei Kant.

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Einbildungskraft ist das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen. 

Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehört die Einbildungskraft, der subjektiven Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine korrespondierende Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit; sofern aber doch ihre Synthesis eine Ausübung der Spontaneität ist, welche bestimmend, und nicht, wie der Sinn, / bloß bestimmbar ist, mithin a priori den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apper- zeption gemäß bestimmen kann, so ist die Einbildungskraft sofern ein Vermögen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen, und ihre Synthesis der Anschauungen, den Kategorien gemäß, muß die transzendentale Syn- thesis der Einbildungskraft sein, welches eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben (zugleich der Grund aller übrigen) auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist. Sie ist, als figürlich, von der intellektuellen Synthesis ohne alle Einbildungskraft bloß durch den Ver- stand unterschieden. 

Sofern die Einbildungskraft nun Spontaneität ist, nenne ich sie auch bisweilen die produktive Einbildungs- kraft, und unterscheide sie dadurch von der reproduktiven, deren Synthesis lediglich empirischen Gesetzen, nämlich denen der Assoziation, unterworfen ist, und welche daher zur Erklärung der Möglichkeit der Er- kenntnis a priori nichts beiträgt, und um deswillen nicht in die Transzendentalphilosophie, sondern in die Psychologie gehört. 
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Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 151f.


Nota. - Kant hat das phänomenologische Verfahren in die Philosophie eingeführt: Er beobachtet, was die Intelligenz auf ihrem Wege wirklich tut, und zerlegt es analytisch, um einen Sinn darin erkenntlich zu machen. Dann allerdings begnügt er sich mit einer Definition. So erhält er z. B. nacheinander die drei Grundvermögen theoretische Vernunft, praktische Vernunft und Urteilsvermögen. Sie nach ihrer Herkunft alias Wesen zu befragen, hält er nicht für seines Amtes. Zwar deutet er die Möglichkeit an, dass es sich 'im Grunde' nur um verschiedene Handlungsweisen ein und desselben menschlichen Gesamtvermögens handeln könnte, aber er kommt darauf nicht wieder zurück.

Hier nun hat die Beobachtung die Einbildungskraft identifiziert: das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen. So etwas kann die Intelligenz, wir können ihr dabei zusehen, aber woher sie kommt, 'was sie ist', ist nicht weiter zu eruieren. Und dass sie einmal produk- tiv, ein andermal nur reproduktiv tätig wird, muss lediglich definitorisch unterschieden werden. 

Dabei liegt eine Welt dazwischen, denn als bloß repoduktive fällt sie gar nicht in den Bereich der Philoso- phie, sondern der Psychologie. Als produktive Einbildungskraft jedoch, als "eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben (zugleich der Grund aller übrigen) auf Gegenstän- de der uns möglichen Anschauung ist", fällt sie geradezu ins Zentrum der Transzendentalphilosophie!

Fichte hat sie folgerichtig zum menschlichen Grundvermögen erklärt, aus dem alle andern Tätigkeiten der Intelligenz abzuleiten sind.
JE

2 Kommentare:

  1. "Zwar deutet er die Möglichkeit an, dass es sich 'im Grunde' nur um verschiedene Handlungsweisen ein und desselben menschlichen Gesamtvermögens handeln könnte" - Wo genau findet sich das? Danke.

    Ich bin übrigens der Auffassung, dass dieses "Gesamtvermögen" sich aus den drei Kritiken rekonstruieren lässt - vorausgesezt wir lesen sie mit den Augen der konstruktivistischen Systemtheorie, die allerdings erst ihre Trennug in biologische Perspektive (Maturana) und sozialswissenschaftliche Perspektive (Luhmann) erst noch überwinden müsste. Wobei Kants Begriff der EinBILDungsKraft hilfreich wäre.

    Ich schreibe dazu gerade einen text, dessen erster Teil demnächst vorliegen wird.

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    1. Gott ja, wo? In der Einleitung zur KU, wenn ich nicht irre. Aber so auf die Schnelle finde ich's nicht.
      JE

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